Seite - 238 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (2), Band 9
Bild der Seite - 238 -
Text der Seite - 238 -
238
keinem fertigen Mnster, sondern nach der eigenen Einsicht und demokratischen Neignng.
Hier und dort entsteht ein „Bauern-Coinitat", gleichsam als letzte Bethätigung jenes
Princips, kraft dessen der weiche Stoff einer urzeitlichen Gesellschaft sich zu politischen
Prismen kryftallisirt. Es wird Znsammenhang gesucht unter Aufrechterhaltung der
Unabhängigkeit und Schutz, aber nicht um den Preis der persönlichen Freiheit. Einige
Gemeinden des oberen Klein-Knmanien verbinden sich mit den Gemeinden des nahen
Donau-Users in der Person ihrer Nichter und versammeln sich von Zeit zu Zeit, um in
diesem Baueru-Eomitate, das keinen Vicegespan, keine Schreiber und keine Soldaten, nnr
Bauern hat, Verfügungen zn treffen und Urtheile zu schöpfen. Der lebendige Mnnd der
Ältesten spricht Recht. Auch werden sie dnrch die Nachbareomitate unterstützt, welche
zugleich Versuche machen, sie in sich aufzunehmen. Mit welchem Erfolge, das ist dem
Briefe des Stuhlrichters Vattay, etwa vom Jahre 1670, zu entnehmen: „Ihr gottlosen,
halsstarrigen, comitatsseindlichen, ungehorsamen, deni Türken gehorchenden Lente von
Szabadszalläs.Filepszälläs uud Kuu-Szeut-Miklös! Weit lieber wäre es mir, 25 raizischen
Dörfern zu gebieten als euch, u. f. w. Daß doch unser Herrgott ench verdürbe!
Datum u. s. w." Ein Seiteustück dazu bildet ein türkischer Brief vom Jahre 1K63, in
welchem „Achmed ben Mustafa, Kadi von Hatvan, der Menschen Ärmster, den christlichen
Insassen von Jaszbereny gestattet, ihre unglückselige Marienkirche, die ihnen als Bethans
nach ihren thörichten Wahnlehren dient, von Grnnd aus zu renoviren." Ähnlich zart
stilisirte Briefe werden beinahe in jeder jazygo-kumanischen Stadt aufbewahrt.
Diese Briefe beweise», daß die armen Knmanen in ihrem absolut freien Znstande alle
möglichen Kniffe anwenden mußten, nm sich nach vier Seiten zugleich zu wehreu. Witterten
sie Gefahr, dann flog das ganze ,s?ÄlIäs- (Quartier,Eolonie) auf rascheu Wägelchen, deren
ungemein schmale Radfelgen sich in Sand und Morast leicht bewegten, um etliche Pnszten
weiter fort. War es dazu zu spät, so flüchteten sich nur die Richter, soust hatteu sie für
das ganze Volk zu büßen. Vom knmanifchen Gesichtspunkt also ist es gar nicht so wider-
sinnig, wenn einst, bei Annähernng irgend eines Feindes, ein kumauischer Richter sich mit
diesen Worten von seinen Mitbürgern verabschiedete: „Mitbürger! Ich gehe schon jetzt.
Vertheidigt ihr die Stadt bis auf den letzten Blutstropfen!" Nach der Vertreibung der
Türken stand dem ganzen Lande eine neue Orgauisatiou bevor, deren Anforderungen
unter den damaligen Formen das an Volkszahl und Kraft geschwächte und politisch ja
überhaupt unbedeutende Kumauieu nicht widerstehen konnte. Es mußte sich eben in den
feudalen Rahmen fügen. Es wurde au den deutschen Ritterorden verkauft, der es dauu
dem Pester Jnvalidenhause verpfändete; so bengte es den bisher so starren Hals unter
ein Joch, welches freilich im Vergleich mit dem der Hörigen durchaus keiu schweres war.
Doch der Grundherr erlebte weder Frende an seinem ungeheuren Grundbesitz, noch hatte
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch