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dieses Vaterland gewannen, bestieg der greise Führer Örs ,unseren Daröczer Berg' und
ließ den Blick rundum gehen, dann wandte er sein Antlitz der Theiß zu, strich seinen
langen weißen Bart in zwei Hälften auseinander und gab, auf diese beiden Hälften
deutend, seinen Kriegern den Marschbefehl: „In diesen beiden Richtungen gehet vor und
besetzet das Land bis an jenen großen Fluß!"
Die Ebene am Fuße der Mätra ist einer der augenfälligsten Beweise für die
erfahrungsmäßige Auffassung, „daß das Alföld im Ganzen und Großen eine Mosaik
ans stufenförmig zusammengefügten Ebenen ist, deren höherliegende mit unregelmäßig
gekrümmten Rändern in die niedriger gelegenen übergleiten". Besagte Ebene erhebt sich
von der zwischen 85 bis 90 Meter wechselnden Höhe des Nächstliegenden Theißabschnittes
bis zn Höhen von mehr als 170 Meter, so daß sie im Ganzen eine von West zu Ost
abschüssige schiefe Fläche bildet; doch ist diese Abschüssigkeit eine so allmälige, daß das
Auge sie kaum gewahr wird. Die geradlinige Glätte der Oberfläche erscheint so gleich-
mäßig, daß sie im Winter einem übersrorenen, ruhigen Meer, im Sommer einem riesigen
gedeckten Tisch gleicht. Eintönig aber oder gar langweilig darf man sie trotzdem nicht
nennen, denn es erscheinen ans ihr Wälder und Ortschaften in viel dichterer Folge als
in den südlich von hier gelegenen Theilen des Alföld. Auch ist sie, Dauk der Nähe der
Gebirge, von Bächen belebt, welche alle entweder der Theiß oder deren größeren Nebeu-
flüßcheu zuströmen. Unter diesen Bächen findet sich einer, der Hejö (— kev kol^v heißer
Fluß), dessen warmes Wasser selbst der strengste Winter mit keiner Eiskruste zu überziehen
vermag. Dieser warme Bach ist der Abfluß der heißen Qnelle Tapolcza, die am Fuße
des Bükk entspringt. Das schönste aber auf dieser Ebene ist ihr sommerliches Meer, die
„Delibäb"-Luftspiegelung mit ihrem wogenden Seidenglanz, der an jedem sonnenhellen
Tage die Ebene überflutet, als solle dadurch für immer die Erinnerung an jenes wirkliche
Meer lebendig bleiben, welches einstmals hier gewogt hat, oder als solle die Volkssage
Recht behalten, welche die „Delibab" als Fee darstellt, als wunderschöne Königstochter
und Braut des Avareuköuigs Esörsz, der einst dieses Land beherrscht habe. Dieser sei
vor der Vermählung ins Grab gestiegen, die Fee jedoch habe auch uach seinem Tode nicht
aufgehört ihu zu lieben. Sie liebe ihn noch jetzt, kenne aber sein Grab nicht und wandle
darum durch die Gegend, es zu suchen. Diese schöne Sage kliugt bei Tompa folgendermaßen:
„Seht doch die TNbäb dort!.
Wenn Alles hell besonnt,
Aufblinkt sie leise bebend
Am flachen Horizont.
In» Alföld schwanken Fittichs
Erscheint und schwindet sie, Sucht Csörsz und seinen Hügel
Und findet nie ihn, nie.
Und immer noch beweinend.
Den einst sie weinend rief,
Erfüllt sie rings den Sehkreis
Mit Thränenfluten tief."
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch