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Unterhalb Derecskes, längs des Berettyö und der Kleinen Körös beginnt der
eigentliche Sarret (Moorgrund, wörtlich: Schlammwiese). In den Gemarkungen vou
Heuczida und Gäbor jäu wechseln wogende Weizenfelder mit saftigen Wiesen, welche bunt
sind von Schneckenklee und anderen blühenden Pflanzen. Das anderwärts wenig geschätzte
Weizenstroh ist hier ein sehr gesuchter Artikel und es wird als ein Schlag empfunden,
wenn dasselbe einmal „bunt wird". Denn man flicht, besonders in Henczida, aus dem
Stroh des „kahlen Herbstweizens", der keine Ähren ansetzt, mit Meisterschaft Hüte zu
sieben oder zu ueuu, und von besonders feinem Stroh auch zu elf dünnen Halmen. In
Groß-Wardein werden sie sogar von Herrenleuten getragen, und zwar mit Recht, denn die
Strohhüte von Henczida sind wohlgeformt und bei besserer Qualität so leicht, daß zwei-
undzwanzig auf ein Kilo gehen. Auch ihre Farbe ist annehmbar, denn die fertigen Hüte
werden recht geschickt mit Schwefel geräuchert, nur im Glätten fehlt es an Erfahrung. Im
benachbarten Bojt flicht die fleißige Bevölkerung Wagen- und Bienenkörbe. Das Material
dazu gewinnt man reichlich von den üppig wuchernden Weiden am Fuße der mit Rasen-
tafeln belegten Dämme, welche die Arme der Kleinen Körös begleiten. Den regulirteu
Theil des Berettyö erkeuut man an den geradlinigen und gleichmäßigen Ufern; im Übrigen
ist sein Lauf geschläugelt und die Ufer sind zerrissen. Zwei oder drei Tage lang in jedem
Sommer „blüht der Berettyö", wie man zu sagen pflegt, indem seine Oberfläche sich mit
Millionen von Eintagsfliegen (k^IinAenia lunFieuuda) bedeckt. Da blitzt es jeden Augen-
blick im Wasser auf und die Fische fahren in die Höhe, um die Thiercheu zu schnappen.
Die Eintagsfliege ist ein guter Köder und der Fischer des Särret steckt sie gerne an
seine Angel.
Der Mittelpunkt dieser Gegend ist Beret työ-Ujfa ln mit einem stockhohen Stadt-
haus, zahlreichen Vereinen, einer Sparkasse, einer Druckerei u. s. w. Nahebei, auf der
Pusz ta Herpäly, steht dachlos, dem Verfall geweiht, der „stumpfe Thurm", der Rest
einer Kirche aus dem XIII. Jahrhundert; gleich daneben wurde ein prachtvoll gearbeiteter
vergoldeter Schildbuckel aus der Zeit der Völkerwanderung gefunden, der sich jetzt im
ungarischen Nationalmuseum befindet.
Von Ujsaln schlängelt sich der Berettyö durch gutes Weideland gegen Bakonszeg
hin, wo, wie unsere Abbildung der Schwemme zeigt, die zerrissenen Ufer des Flusses mit
zahlreichen, friedlich nebeneinander weidenden Gestüten, Rinder-, Schaf-, Schweine- und
Gänseherden bedeckt sind. Zu Bakonszeg gehört auch Puszta-Kovaesi, wo einer der
berufensten Bahnbrecher der neueren ungarischen Literatur, Georg Besseuyei begraben
liegt und seit 1883 sein hübsches Grabdenkmal hat. An diesem Orte verlebte der Philosoph
und Dichter, nachdem er dem Getöse Wiens entronnen, seine letzten Tage in größter
Zurückgezogenheit. In dieser Einsamkeit schrieb er, im Geiste von Voltaire und Destouches,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch