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der Bevölkerung erlosch. Sie verlor ganz jenen feineren Sinn für die Bedingungen der
Entwicklung ihrer Stadt, der sie seit Jahrhuuderteu ausgezeichnet hatte. Und dieser Sinn
erwachte auch lange nicht wieder, nicht einmal nachdem Szegedin im Jahre 1686 zurück-
erobert uud von den Türken geräumt war. Der einst so mächtige Stadtrath war ein
gewöhnlicher Krähwinkelrath geworden und bis zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht im
Stande, die Stadt in ihrem stetige» Siukeu aufzuhalten; er hebt Steuern ein, verfolgt
Ränber und schlichtet die Tageshändel der Parteien, auf etwas Anderes erstreckt sich seine
Aufmerksamkeit nicht. Und dazwischen wird die unglückliche Stadt auch noch häufig vou
Überschwemmungen heimgesucht, uud uach uud nach verliert sie alle ihre Privilegien, so
daß selbst ihre primitivsten Befugnisse schon in Frage schweben. Da hilft sie sich mit dem
schlauen Kniff, daß sie ein altes, aus dem Jahre 1200 stammendes Siegel aus der Theiß
herausfischt, vou dessen halbverwischtem Wappen noch die Worte ,3iAillum kexiae
. . . e^eckiensis", die beiden die Theiß und Maros darstellenden Binden und der zum
Adler gewordene Pelikan, mit den Abzeichen des ^us ^a6ii, erhalten geblieben sind. Mit
diesem Siegel als Beweisstück setzt sie alles irgend Bewegliche in Bewegung, um die
Anerkennung ihrer alten Rechte durchzusetzen, und keineswegs ohne Erfolg.
Der alte Glauz, die alte Macht der Stadt leben nur uoch als eine Sage. Kein alter
Palast steht mehr, selbst ein hübscheres steinernes Haus findet sich sehr selten. Keine
Szegediner Studenten zeigen sich mehr auf ausländischen Universitäten, in den Schau-
fenstern der Kaufläden glänzen keine Kostbarkeiten mehr. Die lange Reihe von Schicksals-
schlägen hat Alles niedergedrückt und abgestumpft. In der Geschichte der Stadt wimmelt
es von düsteren Katastrophen jeder Art. Alle vier Elemente haben sich gegen sie empört.
Das Feuer hat sie verheert, die Erde ist uuter ihr erbebt, die Luft hat sie vergiftet,
denn die bösen Pestilenzen von 1710 und 1738 bis 1740 wütheten furchtbar uuter der
Einwohnerschaft, ihr verbissenster Verfolger aber ist jederzeit das Wasser. Kein Wunder,
wenn ihre Kraft nicht Stand hielt. Sie vegetirte dahin und harrte der schöneren Tage,
sanft und geduldig wie das Lamm in ihrem Wappen. Nur zwei Dinge blieben in diesem
Volke zu allen Zeiten und trotz aller Schicksalsschläge lebendig: der Ameisenfleiß uud die
Anhänglichkeit au die Scholle der Muttererde. In allem Anderen ist das Sinken ein
fortwährendes und der geistige Horizont wird immer enger, so daß ein abergläubiger
Irrwahn, der seinerzeit einen großen Theil Europas beherrschte, hier zu unumschränkter
Macht gelaugt und der Magistrat noch zu Ausaug des vorigen Jahrhunderts Hexen foltert
und verbrennt, Weiber, die mit dem Teufel Dromo buhlen und auf Ofenbesen und
Backschaufeln zu deu Versammlungen auf deu Blocksberg reiten, und Männer, welche die
Milch der Kühe verderben und die Hexenzunft commandiren. Doch konnte auch dieses
Darniederliegen nur ein zeitweiliges sein. Die Muttererde mußte früher oder später deu
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch