Seite - 507 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (2), Band 9
Bild der Seite - 507 -
Text der Seite - 507 -
507
andern hörte man näher nnd ferner das dumpfe Krachen eines einstürzenden Gebäudes.
Und zu derselben Zeit, da hier über hundert Menschenleben verloren gingen, riß das
Wasser auf dein Kirchhofe der Oberstadt die Gräber auf und in den herausgespülten
Särgen kamen die Vorfahren heimgeschwommen in ihre einstigen Höfe.
Alles in allem blieb ein Raum von etlichen hundert Schritt trocken, eine Ecke der
Schulgasse. Es war ein höchst eigenthümliches Bild, diese traurige Stadt, welche Todte
hatte, aber keinen Friedhof. Man begrub die Todten in Szöreg. Die Neugeborenen taufte
man in einem Eisenbahnwagen, der die Aufschrift trug: „Pfarramt". Nur hier und da
stand noch ein steinernes Haus. Dazwischen sah man blos Schindeldächer, die in langen
Reihen auf deu Wellen zn hocken schienen. Auf den Hausdächern saßen die Katzen als
einzige Wächter. Und in dieser Sündflut trieb das verschiedenartigste Hausgeräth umher,
Theißbrücte zwischen Szegesin und Neu-Szegedin.
und staute sich an irgend einer Steinwand zu gauzeu Barrikade» aus. Emsig schafften
die Kähue die Flüchtenden fort, von denen so manche eine ganze Nacht ans Bäumen fest-
geklammert verbracht hatteu. Tagelang dauerte die Rettungsarbeit und sie war reich an
schauerlichen Einzelheiten. Später fing man an, längs der Manern der stehengebliebenen
Häuser Gehwege aus Bretteru auzubringeu. Dauu begauueu die geflüchteteu Bürger sich
uach und nach heimznwagen, hielten auf trockenem Boden, im Gasthof „Hnngaria" ihre
erste Generalversammlung ab und beriethen rathlos, was zu thun wäre, und ob hier
überhaupt uoch je wieder Lebeu entstehen würde oder nicht. Die erste Versammlung der
uralten Stadt wurde in einem räucherigen Spielzimmer abgehalten. Aber es stand ja anch
das Schicksal der Stadt förmlich anf dem Spiele, es hing an einer Karte. Diese Karte
jedoch war, wenn ein banaler Ausdruck erlaubt ist, ein Glücksblatt, — der König. Seine
Majestät Köuig Franz Joseph kam, tief bewegt dnrch den ungeheueren Schlag, eilends in
die „obdachlose" Stadt; im Kahne ließ er sich unter all das morsche Gemäuer hinein-
ruderu, auf Kähuen kamen ihm die Deputationen entgegen. Von einem Kahne aus begrüßte
ihn der Redner der Stadt bei diesem prunklosen Einzug. Und damals war es, daß der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch