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umgebenden Volksstämme hat sich der südungarische Deutsche nur wenig angepaßt und in
Charakter und Geschmack, in Bräuchen, Gewohnheiten und Manieren seine Ursprükglichkeit
echt bewahrt.
In religiöser Hinsicht ist er zum Zweifel geneigt; doch hält er an den äußereuFormen
der Religion fest, geht Sonn- und Feiertags zur Kirche und nimmt an den kirchlichen
Ceremonien theil.
Dem Unterricht ihrer Kinder widmen die südungarischen Deutschen große Sorgfalt
und lassen sich ihre Schulen nicht wenig kosten. Ihre blühenden Volksbildungsanstalten
verdienen alles Lob. In deutschen Gemeinden findet sich selten ein schulpflichtiges Kind,
das die Schule nachlässig oder gar nicht besucht. Die Schulen aller deutschen Gemeinden
befinden sich in gutem Zustande und gehören zu den schönsten Gebäuden des Ortes. Selbst
das bescheidenste deutsche Dorf hat seine drei bis vier Klassen auszuweisen mit ebenso
vielen Lehrern und einer Lehrerin für weibliche Handarbeiten. In größeren Gemeinden
bestehen gewöhnlich alle sechs gesonderten Klassen und besondere Töchterschulen sorgen für
die Ausbildung der weiblichen Jugend. In neuerer Zeit findet auch die Sache der Kinder-
bewahranstalteu in den größeren deutschen Gemeinden ausgiebige Pflege. Schulbibliotheken
gibt es schon an vielen Orten. Die Besoldung der Lehrer ist fast nirgends im Lande besser.
Auch die magyarische Sprache und das patriotische Bewußtsein werden in den deutschen
Schulen sorgfältig gepflegt. Dabei begnügen sich die Wohlhabenderen nicht mit der Dorf-
schule, sondern lassen ihre Söhne noch weiter unterrichten. Sie bringen sie auf die Gymnasien
von Temesvär, Szegediu, Arad, Szabadka (Maria-Theresiopel), Zombor, Paucsova,
Baja und Kalocsa oder auf Realschulen, damit sie Lehrer, Geistliche, Advocaten oder
Ärzte werden oder doch wenigstens das Magyarische erlernen.
Die Kinder, welche die Gemeindeschule durchgemacht haben, besuchen bis zum fünf-
zehnten Lebensjahr die Wiederholungsschule. Man nennt sie dann „kleene Buben" und
„kleene Menscher". Dieses kleine Volk darf noch nicht bei den öffentlichen Unterhaltungen
erscheinen. Mit fünfzehn Jahren werden sie in die Gesellschaft der „mittleren Buben" und
„mittleren Menscher" aufgenommen. Nun dürfen sie auf den Tanzunterhaltungen erscheinen
und von weitem zusehen oder auch für sich in irgend einem entlegenen kleinen Wirthshause
einen Tanz veranstalten. Die obere Stufe der jungen dörflichen Gesellschaft bilden die
„großen Buben" und „großen Menscher". Die großen Buben spielen die Hauptrolle in
der deutschen Dorfjugend. Ihnen gebührt an Sonn- und Festtagen der Tanz im großeu
Wirthshaus, sie veranstalten die öffentlichen Volksbelustigungen und das Hauptfest der
Deutschen, die Kirchweih, von der noch eingehender die Rede sein soll. Jeder „große Bube"
erscheint Sonntags mit seiner Erkorenen beim Tanze. Sobald die Vesper zu Ende ist,
erschallt flugs im großen Wirthshaus die Musik der Blasinstrnmente und das Tanzen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch