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Falles wird aber auch ein Proceß daraus, indem die Eltern ihr Kind dnrch die Behörde
suchen lassen und streng auf der Bestrafung des Räubers bestehen. Ist der Raub nicht mit
Willen des Mädchens geschehen, so trifft den Entführer die Blutrache. Oft aber geschieht
der Raub nur, um die Hochzeitskosteu zu erspareu, uud dann hat er natürlich keine Folgen.
Hochzeitsgebräuche. Das bedeutsamste Moment im weiblichen Leben ist der Über-
gang von Mädcheuthum zu Fraueuthum. Im serbischen Volksliede heißt es darüber:
Mädchen.
„Ging durch unser Dorf ein Jüngling,
Abends, konnt' ihn gar nicht seh n recht.
Stille nach ihm meine Sehnsucht,
Ruf' ins Haus ihn, gute Mutter,
Ruf' ihn her, um Gotteswillen!
Mädchen.
Ruf' ins Haus ihn, gute Mutter,
Ruf' ihn her, um Gotteswillen!
Meine Augen sei n ihm Branntwein,
Meine Wangeu roth sein Imbiß,
Und mein Hals von Schnee sein Naschwerk, Mutter.
Laß' ihn, meine Tochter, laß der
Stolzen Stadt noch stolzern Jüngling!
Will gebrannten Wein beim Aussteh'u,
Bor der Nachtruh' üppig Gastmahl
Und ein städtisch weiches Bett dann.
Sammtweich Gras sein warmes Bette,
Sternenhimmel seine Decke,
Und mein weicher Arm sein Kissen.
Ruf' ins Haus ihn, gute Mutter,
Ruf' ihn her, um Gotteswillen!"
Lebt der Vater nicht mehr, so verfügt der Bruder, uud wenn kein solcher vorhanden,
der Oheim oder ein anderer männlicher Verwandter über die Hand des Mädchens. Obgleich
sie nicht nach ihrem Herzen wählen kann, weiß sie sich doch zu trösten und findet auf alle
Fälle eiue gute Aufnahme im neuen Heim mit ihren zwei jungen arbeitsamen Händen. Die
Serben heirateu in der Regel frühzeitig uud die jungen Mädchen lassen sich mit großer
Lust die Haube aufsetzen, schon weil die Hochzeit das einzige Fest ist, bei dem die Frau die
Hauptrolle spielt und weil die serbische Frau mehr Freiheit genießt als das Mädchen.
Im Herbst begeben sich die Väter auf die Brautschau. Sagen ihnen das Mädchen
nnd dessen Verhältnisse zu, so rücken sie sofort heraus und bestimmen zusammen den Tag
der Brautwerbung, zu der die beiderseitige» Verwandten geladen werden. Bei der Braut-
werbung wird auch der Tag der Trauung bestimmt, sowie die Zahl und Auswahl der Gäste.
Vor der Hochzeit erfolgt der Austausch der Ringe (pistsn). Bei dieser Gelegenheit
erhält die Braut einen großen rothen Ehrenapfel O'nduka), in dem, je nach dem
Vermögen des Freiers, eine oder mehrere Goldmünzen gesteckt sind; der Apfel wird
Brautgeschenk geuanut, so wie man jedes andere Geschenk gewöhnlich Jabnka (das heißt
Apfel) nennt.
Nach dem Ringtausche, zwei oder drei Tage vor der Hochzeit, macht der Tschausch
(Ünus, Hochzeitsherold) oder Dever (Brautführer, meist eiu jüngerer Brnder des
Bräutigams) die Einladungsbesuche, wobei er eine mit Blumen und Gold- oder Silber-
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Band 9
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (2)
- Band
- 9
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.56 x 21.98 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch