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Steigen wir von der luftigen Höhe zur Altstadt herab und wandern wir dnrch die
dichtbevölkerte klena veeelüa, in der sich noch unverfälschtes Triester Volksthum erhalten
hat, und durch die Via klibvrZo, einst die vornehmste Straße, zum Corso hinaus. Als
Maria Theresia die alten Mauern niederreißen ließ, um die Verbindung zwischen der
Stadt und dem früheren Cameraldistrict herzustellen, entstand eine Straße, zunächst die
„große Gasse" oder auch Lontrgcka ckella porla cli Vienna genannt, von dem Thore, das
an ihrem Anfang den großen Platz durchbrach. Seitdem 1783 hier unter dem Gouverneur
Graf Brigido in den letzten Faschingstagen Wagenfahrten stattfanden, begann der Name
Corso aufzukommen. Diese Straße bildet nicht nur eine für die geschichtliche Entwicklung
Triests wichtige Scheidelinie zwischen Alt- und Neustadt, sie ist auch eine Hauptverkehrs-
ader und namentlich zu gewissen Stunden außerordentlich belebt. Die vornehmsten Schau-
laden locken hier die Käufer an und zu den zahlreichen Menschen, die der geschäftliche
Verkehr zusammenführt, zu jenen Vielen, welche den Corso durchwandern, um die nahe
Börse zu besuchen oder von einem Stadttheil zum anderen zu gehen, gesellt sich namentlich
in den Abendstunden die Schar der „lieben Müßiggänger". Manche lehnen sich dabei
behaglich an jene ungefähr meterhohen Säulenstümpfe, die in Trieft fast überall die Gang-
steige begrenzen und so recht geschaffen scheinen, die Mühe des Stehens zu erleichtern.
Umso mehr Ausdauer entwickeln auch die echten Corsobnmmler: sie lassen die Menschen-
wellen an sich vorüberziehen und freueu sich an den vornehmen Frauen und Mädchen, die
den Wagen entsteigen, um Einkäufe zu machen, nicht minder aber an den niedlichen
feineren Arbeiterinnen, die nach vollbrachtem Tagwerk über den Corso wandeln. Es gibt
hübsche Mädchen unter den „Sar torel le" und sie wissen sich zu tragen. Daß die meisten
von ihnen ohne Hut gehen und ihr Kopf nur von dem sorgfältig srisirten Haare, in der
kühleren Jahreszeit von einem Schleier bedeckt ist, vermindert sicher nicht den Reiz der
Erscheinung dieses frohen raschlebigen Völkchens, in dessen Adern südliches Blut rollt.
Den Tag über führt die Sartorella unermüdlich die Nadel, dabei denkt sie an den
Feierabend, an dem sie sich zum Ausgang putzt, an den Sonntag, der sie mit dem Frennde
oder der Freundin ins Freie oder in das Theater führt. Darum trällert sie auch die ganze
Woche hindurch die Arien, die sie in der letzten Sonntagvorstellung gehört hat, manchmal
auch die Liedchen, die man auf der Gasse singt.
Vertritt die Sartorella unter der weiblichen arbeitenden Bevölkerung, wenn man so
sagen darf, das „Fräulein", strebt sie mehr darnach, sich jener Welt zu nähern, der sie auch
manche Äußerlichkeiten entlehnt hat — und nicht selten endet eine schmucke Sartorella als
wohlhabende Kaufmannsfrau —, so ist das eigentliche Kind des Volkes die Sessolotta.
Der Name kommt von ,3essola- (Schaufel), uud so bezeichnet das Wort zunächst jene
Mädchen, die bei der Arbeit eine kleine Schaufel brauchen, also die beim Kaffee- und
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Das Küstenland, Band 10
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Das Küstenland
- Band
- 10
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.63 x 22.44 cm
- Seiten
- 390
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch