Seite - 164 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Das Küstenland, Band 10
Bild der Seite - 164 -
Text der Seite - 164 -
164
So ungleich die Abstammung der Angehörigen unseres Ländchens ist, weisen ihre
Charaktere deuuoch zahlreiche gemeinsame Züge auf. Ein echter Sohn des sonnigen
Südens besitzt der Görzer vor Allem jene Eigenschaften, welche sich unter Bewohnern
ähnlicher Himmelsstriche auch anderswo mehr oder minder ausgeprägt entwickeln. Durch
die klimatischen Verhältnisse schon vielfach verlockt, aus seiuem Heim, das selbst in den
wohlhabenden Schichten der Gesellschaft nicht immer behaglich eingerichtet ist, heraus-
zutreten, und somit dahin geführt, sei es mit Nachbarn, sei es mit des Weges daherziehenden
Fremden häufige Berührungen zu Pflegen, ist er gesellig, mittheilsam und beinahe immer
von Herzen gut, gerue bereit, fremdem Elend hilfreich beiznspringen. Die auffallend heftige
Liebe der Elteru zu ihren Kindern, man kann sagen, aller Erwachsenen zu jugendlichen
Geschöpfen überhaupt ist mit ein Ausfluß dieser herzlichen Gutmüthigkeit. Mit gesundem
Menschenverstand ausgerüstet und selten ganz unbegabt, ist er für äußere Eindrücke sehr
empfänglich; jeder Schwerfälligkeit fremd erfaßt er Neues mit Lebhaftigkeit, dem er sich
ohne Mühe anzubequemen versteht. Ju ernsten, das Gemüth erfüllenden Dingen legt er
allerdings meist Zähigkeit und Festigkeit an den Tag. Er bleibt der Anhänglichkeit an
seinen kaiserlichen Herrscher nnd sein großes österreichisches Vaterland, der guten Sitte und
der Väter Sprache, sowie deu ererbten religiösen Überzeugungen unerschütterlich getreu,
allein er klammert sich nicht mit nnvernünftigem Starrsinn lediglich nm der Gewohnheit
willen an das Althergebrachte, wenn ihm Besseres geboten wird.
Ungleich den Angehörigen vieler anderen Länder, denen es geradezu als entwürdigend
und standeswidrig erscheint, nach einem Erwerbe zu langen, der nicht schon seit Geschlechtern
im Hause der Voreltern heimisch war, wählt und wechselt er anch mit raschem Entschluß
den eigenen Beruf, je nachdem er sich davon Vortheile verspricht. Stets geneigter, der
Gegenwart zu leben, als mit klugem Vorbedacht die Zukunft zu erwägen, kostet es ihn
nicht eben große Überwindung, nach dem Wanderstabe zu greifen, um iu der weiten Welt
einem besseren Unterhalt, als ihm die heimatliche Scholle zu bieten vermag, nachzuziehen,
obgleich er seine schwärmerische Liebe zu der Stätte, au der seine Wiege stand, niemals
recht loswerden kann und immer wieder dahin zurückzukehren strebt.
Der jüngsten Zeit erst und der in ihrem Gefolge einherschreitenden drückenden
wirthschaftlichen Lage, die sich vornehmlich in dem ebenen, einst blühenden Landestheile
eingebürgert zu haben scheint, war es vorbehalten, den Trieb zur Auswanderung jenseits
des Weltmeeres mächtig zu wecken. Von Jahr zu Jahr sehen wir nun in steigendem Maße
Scharen frianlischer Landleute auf dem Zuge uach der neue» Welt begriffen, von der
oft trügerischen Hoffnung beseelt, daß ihnen dort freundlichere Geschicke beschieden seien.
Eine zweite Auswanderung recht bedauerlicher Art findet, und zwar nicht blos seit
jüngster Zeit, zum Glück jedoch nicht in gleich ausgedehntem Maße aus sloveuischeu
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Das Küstenland, Band 10
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Das Küstenland
- Band
- 10
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.63 x 22.44 cm
- Seiten
- 390
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch