Seite - 167 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Das Küstenland, Band 10
Bild der Seite - 167 -
Text der Seite - 167 -
107
entstand. Die Rojenice, welche jenen Garten pflegten, mieden ihn von der Stunde an.
Nach siebenhundert Jahren wird indeß aus den Steinhalden des Triglav eine Tanue
emporwachsen; sie wird gefällt werden, um aus ihrem Holze eine Wiege anzufertigen, uud
dem Kinde, das darin gelegen haben wird, soll dereinst der Schatz des Bogatin zufallen.
Verfolgt man den Lauf des Jfouzo «ach abwärts, so gelangt man nach Karsreit.
In der Nähe dieses Marktes soll das letzte Heiligthnm der heidnischen Bewohner des
Landes, eine mächtige Eiche mit einem zwischen ihren knorrigen Wurzeln hervor-
sprudelnden Quell gestanden haben. Es wird behauptet, daß der »och in der christlichen
Ära im weiten Umkreise große Verehrung genießende Baum erst im XIV. Jahrhundert
unter deu Axthiebeu glaubenseifriger Priester gesallen sei. Knapp bei Karfreit steht ein
Kirchlein, von dem man erzählt, es habe sich noch in den Fluten eines Sees gespiegelt, der
vor Zeiten das ganze, dort sich erweiternde Jsonzo-Thal erfüllte.
Noch weiter thalab liegt Tolmein. Der Wanderer, der von diesem Orte aus das
Ufer der Tvminska, eines Zuflusses des Jsouzo, entlaug aufwärts schreitet, gelangt,
nachdem er etwa eine Wegstunde zurückgelegt hat, an die Mündung der Cadra in die
Tominska. Noch eine kurze Weile dem iu Schlaugeuwiudungeu deu Berghaug steil hinan-
sühreudeu Pfade folgend, sieht er sich dem schmalen Eingang in eine Höhle gegenüber, welche
im Volksmund den Namen Dante-Grotte führt. Man will wissen, daß der umherirrende
Dichter tagsüber sich darin verborgen gehalten habe, während er die Nächte im Schlosse
Pockeusteiu ober Tolmein, das dem Patriarchen von Agnileja Pagano della Torre Unter-
than war, im Verkehr mit anmnthigen Frauen und edlen Rittern zubrachte. Auch will man
wissen, daß die großartige Alpennatur, iu der er uothgedruugeu weilte, ihm bei mauchem,
in seiner göttlichen Comödie gebrauchten Bilde vorgeschwebt habe. Der Hirt, deu sein Weg
in später Tagesdämmernng oder zu nächtlicher Stunde an jenem schauerlich schöne» Orte
vorüberführt, hastet ängstlich seine Schritte und wendet scheu deu Blick zur Seite, denn er
besorgt, der große Flüchtling könnte heute wieder im faltig wallende» Purpurgewande anf
dem Felsblock vor seinem einstigen Versteck sinnend rnhen, wie es die Alten oft gesehen zn
haben vorgaben. Abgesehen von der inneren UnWahrscheinlichkeit, die darin liegt, daß der
gewaltige Ghibelline bei einem Kirchenfürsten von so ausgesprochen gnelsischer Gesinnung,
als es Pagano della Torre gewesen ist, Zuflucht gesucht uud gesunden haben sollte, sprechen
alle vorhaudeueu geschichtlichen Zeugnisse gegen die Annahme, daß Dante jemals den
Boden dieses Landes, sei es in Tolmein, sei es, wie ebenfalls erzählt wird, als Gast des
ihm vom Parteistandpnnkt aus näher stehenden Grafen Hugo vou Tybein (Dnino) betreten
habe. Es ist somit beinahe gewiß, daß hier nur die Sage sich einer der erhabensten Gestalten
in der modernen Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes bemächtigt hat. Bemerkens-
werth ist dabei, daß die sloveuische Bevölkerung sich aus eiuem Nachbarlande anderer
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Das Küstenland, Band 10
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Das Küstenland
- Band
- 10
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.63 x 22.44 cm
- Seiten
- 390
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch