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ältesten Mythen Europas überhaupt enge verwoben. Im Schooße des Berges haust ein
gewaltiges Weib. Schon der Name der Ortschaft an seinem Fuße deutet auf die iu allen
Zauberkünsten wohlbewanderte Königstochter aus Kolchis hin, die dem Räuber ihres
Herzens und des goldene« Vließes aus ihres Vaters Reiche bis hieher folgte, uud die
rothe Erde, welche die Spalten des Gesteins erfüllt, soll ihre auffallende Farbe an dem
Tage erhalten haben, an welchem sie das Blut der von Medea geschlachteten Kinder Jasons
getrunken hat.
An den Ufern des Timavo aber ließen die von Jason geführten Argonauten ihre
Schiffe wieder iu die Wellen tauchen, nachdem sie sie von Ämona zu Lande nnter unsäg-
lichen Mühen dahin gebracht hatten; an den Ufern des Timavo landete aus Jlion fluchtend
Antenor mit einem Gefolge von Henetern und dann wieder eine Schar auf der Heimkehr
vom trojanischen Kriege durch Wiud und Wetter hierher verschlagener anatolischer Griechen,
die an dieser Stelle ihrem auf der Irrfahrt verstorbenen Könige Diomed einen Tempel
erbauten. Aus den Trümmern desselben soll die in der Geschichte oft erwähnte Kirche
St. Giovanni di Tuba erbaut worden sein.
So begegnen wir denn auf eugem Raume zusammengedrängt zugleich den ältesten
Heldensagen des ewig jungen Hellenenthums, den Spuren römischer Größe und unbe-
stimmter Kunde von einzelnen Gestalten des deutschen Nibelungenliedes.
Lassen wir uns jetzt aus jener grauen Vorzeit zu unseren Tagen zurückgeleiten.
In der stillen Lagune zwischen Aqnileja und Grado liegt ein kleines Eiland mit
einem ehrwürdigen Gotteshause, Sta. Maria di Barbaua. In den ersten Jahrhunderten
der christlichen Zeitrechnung ereignete es sich einst, daß bei einem verheerenden Hochwasser
ein Marienbild herabgeschwommen kam, welches sich in den die Flnt überragenden Zweigen
eines Baumes verfing. Dieser Baum, mächtig herangewachsen, wurde uoch heute Lebenden
gezeigt und ist erst vor etwa vierzig Jahren durch einen ungewöhnlich heftigeil Sturm
niedergeworfen worden. Das Bildniß und die Kirche, die sich darüber wölbt, wurdeu
bald Gegenstand frommer Verehrung und alljährlich belebt sich die Lagune an den Frauen-
tagen durch die Zuzüge der Wallfahrer aus dem eigenen Lande und dem italienischen
Nachbarreich, ja selbst aus entfernteren Gegenden Jstriens, Kärnteus und Krams.
Ein malerisch schönes, bunt bewegtes Bild bietet sie insbesondere an jenem Fest-
tage, an welchem die gläubige Gemeinde von Grado alter Übung getreu mit ihrem eigenen
Gnadenbilde nach Barbana wallt. Zahllose Kähne, durch gleichmäßigen Ruderschlag
bewegt dahingleitend, bedecken die Lagune, voran die Priester in ihrem Oruat, mit
wehenden Kirchenfahnen, während die einfachen Melodien eines volkstümlichen Kirchen-
liedes zum Himmel steigen. Wenn der Zug sich'Barbana uähert, wird das dortige Franen-
bild zur Begrüßung der Kommenden bis an das Gestade entgegengetragen, wobei
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Das Küstenland, Band 10
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Das Küstenland
- Band
- 10
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1891
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.63 x 22.44 cm
- Seiten
- 390
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch