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überwallt wird. Eine solche Erscheinung gilt als Vorzeichen der Bora, welche in diesem
Augenblick schon dort oben auf den Graten und in den verschneiten Steinkaren wüthet,
bald aber sich herabsenken wird, um aus dem Meere die Salzflut in Staubsänlen auf-
zuwühlen uud die Steine klirren zu machen auf den weiten Haiden. Das Wolkenspiel
ist es wohl, welches die Einbildungskraft der Slaven angeregt hat, auf jeue Höhen die
Wohnung der „weißen Vilas" zu versetzen, die von dort mit Theilnahme oder Abneigung
dem Treiben der Menschen zuschauen. Oft haben sie von dort oben ihren Lieblingen, den
alten Königen der Meeresküsten, zugerufen, indem sie dieselben im Kampfe ermunterten
oder sie vor den Anschlägen der Feinde bewahrten — den Göttinnen gleich, welche von
des Olympes Höhen herab sich am Streite der Helden auf dem Gefilde Trojas betheiligteu.
Die höchste Erhebung des Velebit ist der Vakanski vrh (1.758 Meter), die zweit-
höchste der südöstlich davon stehende Sveto Brdo oder heilige Berg (1.753 Meter). Auf
seiner Höhe befindet sich ein Heiligthnm, welches von Wallfahren: gerne aufgesucht wird,
insbesondere zu einer Zeit, in welcher dem Lande Dürre droht. Er ist eines der Häupter
einer vielgestaltigen Gipfelwelt, seine oberen Abhänge sind kreideweiß und spärlich sind
die Punkte grünen Waldes, welcher doch einst in großer Ausdehnung diese Hänge
beschattete. Wo einst Eichen gediehen, welche später als Kielhölzer uud Mäste mächtiger
Kriegsschiffe auf dem Meere schwammen, sonnen sich jetzt auf dem nackten Hang Eidechsen
nnd Äsenlapnattern. Beide Berge liegen zwar nahe der Grenze, aber doch auf
kroatischem Bodeu. Einen Gegensatz stellt das Aussehen des Nordabhanges dar. Es ist
fast wie der Unterschied zwischen Nord und Süd überhaupt. Während hier, ans der
dalmatinischen Seite, Melissenkräuter, Euphorbieu, das holzsteugelige, an flüchtige» Ölen
reiche Strauchwerk der Mittelmeer-Flora fast als einzige Zeichen des Wachsthums sich
vom Steinboden abheben, grünt dort uuter Mali Halau breitwipfeliger Buchenwald, in
dessen Schatten der Waldmeister den Wanderer begrüßt.
Der Grenzstein steht auf der Höhe der Kunststraße, 1.046 Meter über dem Meere,
vierundsiebzig Kilometer von Zara entfernt. Ringsherum breitet sich ein Felskar aus,
welches an die höchsten Thalstufen unserer Dolomite erinnert. Die Landschaft ist so
eigenthümlich und für die Gebirgswelt des nördlichen Dalmatiens bezeichnend, daß es
sich verlohnt, auf dem Abhang, über welchen die Straße nach Obrovazzo (Obrovae)
hinabführt, eiugeheudere Umschau zu halten.
Allenthalben erheben sich abgerissene Felssäulen, Nadeln und Hörner, wie etwa auf
den Jochen von Ampezzo und Buchenstein, im Karwendelgebirge oder an der Bocea di
Brenta. Hier und dort hat sich in einer schützenden Mulde von drüben her eine Buche
oder Birke angesiedelt. Wer alle möglichen Abtönungen des Grau keimen lernen möchte,
der sollte eine solche Berggegend aufsuchen. Gleich den bekannten Faraglioni von Eapri
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Dalmatien, Band 11
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Dalmatien
- Band
- 11
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1892
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.54 x 21.83 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch