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sind. Bei jungen Staatsbürgern, die während der Wahlbewegung das Licht der Welt
erblicken, muß natürlich der „Abgeordnetencandidat" Gevatter stehen.
Die Jugend ehrt den Erkorenen ihrer Partei durch eine Fackelmusik; feurige Reden
und die Klänge des Räköczymarsches beleben die Gasse. Ein neues Lied wird zu Ehren
des Kandidaten componirt und von den Gesaugsvereiuen gesuugen. In der breitesten
Straße wird zwischen den Dachböden zweier Häuser ein Strick gespannt und daran eine
Riesensahue mit dem Namen des Kandidaten aufgehängt. Selbstverständlich geschieht
auch von Seite des Gegenkandidaten das Nämliche. Eine wichtigere Arbeit ist die der
„Kortesführer" der Partei, welche im Wege von Reklamationen soviel als möglich von
der Armee des Gegners „abzufchuitzeln" trachten, während sie zugleich das angegriffene
Recht ihrer Getreuen aufrecht erhalten.
Endlich rückt der Wahltag heran. In früher Morgenstunde schon strömen die
Wähler, Musik und Fahnen vorauf, zum Wahlplatze. Dort beauftragt jede Partei ihren
Obmann und Obmannstellvertreter, an der Urne die Partei als Vertrauensmänner zu
vertreten; sie sind es, die auf die Identität der Wähler achten, damit keiner zweimal stimme.
Punkt 8 Uhr empfiehlt der Obmann der Partei den Eandidaten, durch die Unterschriften
von noch zehn Wahlbürgern gestützt, worauf er um 8'/s Uhr die Abstimmung verlangt,
was der Wahlpräsident feierlich verkündet. Anfangs werden die Abstimmenden in Gruppen
von zwanzig Mann, Partei um Partei, eingelassen. Bis Mittag halten beide gleichen
Schritt. Nachmittags erlahmt die eine. Jetzt schickt sie nur noch alle fünf Minuten einen
Wähler hinein. Die Gegenpartei gewinnt die Oberhand. Aber darnm wird der Kampf
nicht aufgegeben. In Kutschen und Omnibussen, auf Milchwagen sogar fährt man dahin
und dorthin, die zerstreuten Genossen zu sammeln, und groß ist die Freude, wenn wieder
ein Wagen mit einem eingefangenen Wähler zurückkehrt. Jetzt müssen aber auch die
Anführer und Corporale aufpassen, daß die Getreuen nicht etwa durch die Gegenpartei
weggefangen werden. Galopins sprengen mit den Bulletins in die Redactionen: so viel
grüne, so viel rothe Federn! Die Straßen sind von Volkshaufen erfüllt. Endlich kommen
die Omnibusse, die Milchwagen an. Großer Jubel der Gegenpartei: „Da sind die Extra-
villaner!" Die konnten nicht früher kommen, da sie mit Feldarbeit beschäftigt waren.
Diese stellen das Gleichgewicht wieder her. Aber auch andere Leute sind nicht faul gewesen!
Die drüben haben den „Hunderterausschuß" in Reserve gehalten, und als die Gegenpartei
den Sieg bereits sicher zu haben glaubt, rücken jene an und gewinnen richtig, bei Anbrnch
der Nacht, die Mehrheit um einige Stimmen. Aber selbst die Kranken aus dem Hospital
müssen heran, — um zu stimmen!
Wenn dann der Präsident die Wahl geschlossen und das Ergebniß verkündigt hat,
bricht die siegreiche Partei in lautes Jubelgeschrei aus. Mit zweihundert Wagen fahren
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch