Seite - 255 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (3), Band 12
Bild der Seite - 255 -
Text der Seite - 255 -
255
indem er für die Seelenbedürfnisse der um ihn gescharten Gläubigen sorgen wollte, zum
Schriftsteller und Dichter, er übersetzte die Bibel, er erklärte die Thesen der neuen Religion,
er gestaltete die alten Kirchengesänge um oder verfaßte neue und bekämpfte mit Erbitterung
die Katholiken, die — in seinen Augen — fortan nur noch Irrende waren.
Jetzt trat die eigentliche Literatur zum ersten Mal dem Leben, dem gemeinen Volke
näher, dessen Sprache sie redete und dessen ethische Auffassung sie neu zu gestalten wünschte.
Zu diesem Zweck trachteten die protestantischen Schriftsteller vor Allem, dem Volke eine
möglichst vollständige magyarische Übersetzung der Bibel zu schaffen. Wohl war die Bibel
bereits im vorigen Jahrhundert zum großen Theile und wiederholt übersetzt, doch wurde
sie nur in den Klöstern von den Mönchen benützt, während das Volk lediglich auf die von
seinem Geistlichen gegebene Erklärung angewiesen blieb. Jetzt wurde die Bibel Gemeingut
Aller. Zuerst gab Beuedict Komjäthy 1533 in Krakan die Briefe des heiligen Paulus
heraus und acht Jahre später erschien die vollständige magyarische Übersetzung des Neuen
Testaments von Johannes Sylvester, einem Schüler Melanchthons, der nachmals an der
Wiener Universität Professor der hebräischen Sprache nnd Geschichte wurde, später jedoch
Lehrer zu Debrecziu und schließlich Prediger zu Leutschau war. In den Jahren 1589 bis
1590 erschien die vollständige Bibel von Kaspar Käroli, Geistlichen zu Göuez und
Senior des Kaschaner Thals, und zwar unter der Protection des Stefan Bäthori von
Eesed in dessen Dorfe Vizsoly, daher denn die erste vollständige Bibelübersetzung, die in
einigermaßen verbesserter Form noch jetzt von den Protestanten benützt wird und über
hundert Ausgaben erlebt hat, die Vizsolyer Bibel genannt wird. Für die Katholiken hatte
bisher nur Gabriel Mizser vou Pest die Evangelien übersetzt und (1536) herausgegeben.
Als die Bibel theilweise und schließlich vollständig übersetzt war, begannen auch die
Glaubensfehden, einerseits zwischen Protestanten und Katholiken, anderseits zwischen den
protestantischen Bekenntnissen. Zu besonderer Bedeutung sind die Streitschriften dieser
Zeit nicht gelangt, doch ist es ihnen zuzuschreiben, daß die ungarische Prosa eine gewisse
Ungesnchtheit und volksthümliche Kraft, ja sozusagen eine Art von Kunstmäßigkeit
gewann, wie auch daß die sittliche Auffassung reiner, ernster, zugleich freilich rauher und
nüchterner wurde. Emerich Ozorai war der Erste, der die Lehren der neuen und der
alten Religion in einem 1535 erschienenen Werke einander gegenüberstellte; weit über-
troffen wurde es jedoch dnrch die Streitschriften des Matthias BirövonDöva über die
Erklärung der zehu Gebote und der Glaubensartikel, die ihm den Namen des „ungarischen
Luther" eintrugen. Noch bedentender war Peter Melins, eigentlich Jnhäsz von Horh,
Prediger und Superintendent zu Debrecziu und eigentlicher Begründer der reformirten
Kirche, in dessen verschiedenen Predigten uud Streitschriften die Gesnnkenheit seiner Zeit
mit mehr Kraft, Klarheit, Feuer und zugleich mit unwirscheren Farben gemalt war als
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch