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ungarischen Helikon mit griechischen und römischen Göttern, allein das Opfer, das er
ihnen darbringt, ist das Erzeugniß des vaterländischen Bodens, die Andacht, der
Schmerz, die Verzweiflung eines vaterländischen Herzens. Die Weltanschauung, die
Auffassung des Alterthums bildet er um, nicht nur in christlicher, sondern in höchst
nationaler, magyarischer Weise. Berzsenyi erhebt die bloße Nachahmung der classischen
Poesie zum selbständigen Schaffen; den beschränkten Formen flößt er die bewußt
schaffende Freiheit des von classischen Quellen genährten Nationalgeistes ein, die sich in
der Wahl der Stoffe, in der Auffassung, Conception und gewaltigen Sprache des Dichters
geltend macht. Berzsenyi begründete in der magyarischen Lyrik einen selbständigen,
nationalen Classicismns, wie Goethe und Schiller durch einige ihrer dramatischen und
lyrischen Werke einen selbständigen deutschen Classicismus geschaffen haben. An diese
Umgestaltung knüpft sich der größte Ruhm der poetischen Begabung Berzsenyis. Allein
Berzsenyi bricht bereits, in einigen seiner Gedichte, mit den classischen Formen, um sich
den rein nationalen Versformen zuzuneigen und die volle Selbständigkeit des magyarischen
Dichtergeistes zu verkünden. Er erhebt sein Wort zum Schutze der alten magyarischen Vers-
formen und streitet für die Reinheit ihres Rhythmus den westeuropäischen Versgebilden
gegenüber, welche nach Radays Vorgang durch Kazinczy und dessen Nachahmer in der
ungarischen Literatur heimisch werden.
Und nun wenden wir uns zu den Pflegern der Richtung, die gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts, unabhängig von der französischen, wie von der classischen Richtung, gleich-
sam als Fortsetzung der alten gereimten „Historien" auftrat. Die französische Schule
nähert sich den Männern dieser Richtung, sie benützen zum Theil die nämlichen Vers-
formen, jedoch mit gepaartem Reime, der größte Unterschied zeigt sich in der Stoffwahl
und den Ideen. Diese Schriftsteller wünschen zum Volke selbst zu sprechen, sich dem
Geschmack, der Bildung des Volkes anzupassen. Zwar empfinden sie den Einfluß der
alten lateinischen Dichtung, aber ihr Gedankenkreis ist ebenso national wie Versform
und Sprache. Sie schöpfen aus den Quellen der Kunstpoesie, aber ebensoviel eignen sie
sich von der alten ungarischen und der Volksdichtung an; von der letzteren allerdings
lernen sie mehr den Ausdruck und die Sprache. Ihr Geschmack ist weniger entwickelt als
der der französischen oder classischen Schule, ihr Hauptstreben geht nach dem magyarischen
Gepräge. Der Mittelstand begrüßte ihr Auftreten mit freudiger Begeisterung, denn er
erblickte in ihrem Wirken die Fortsetzung der alten romantischen Richtung.
Diese Schule, die man gewöhnlich die volksthümliche nennt, ehrt als ihren
Begründer Andreas Dngonics (1740—1818). Um Dngonics scharten sich Gras Josef
Gvadänyi, Adam Pälöczi-Horväth, bis zu gewissem Grade auch Franz Verseghy,
Johann Földi und Michael Fazekas. Dugonics bearbeitete zu Beginn seiner Laufbahn
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch