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humoristischen oder satirischen Scenen und lebensvollen Genrebilder beinahe unübertrefflich
sind und sein Erfindungsreichthum unerschöpflich scheint. Die Akademie hat viele seiner
Originalstücke, ja auch seine Übersetzung des Plantns gekrönt. Diese nnd seine Sophokles-
Übersetzung gehören zu den trefflichsten dramatischen Übertragungen in der ungarischen
Literatur.
Der wohlthätige Einfluß der Volksdichtung, der sich schon im vorigen Jahrhundert
bei Adam Horvath und später Esokonai, in unserem Jahrhundert aber bei Michael
Vitkovics und besonders in manchen Liedern Karl Kissaludys fühlbar machte, hat in
erster Reihe die Lyrik umgestaltet und dem nationalen Geiste genähert. Johann Kriza und
Johann Erdelyi trateu als Herolde einer schärfer ausgesprochenen nationalen Richtung
auf, die sich mit dem Volksmäßigen verbündete, und nach ihnen gelangt in der ungarischen
Poesie der Geist dreier hochbegabter Dichter: Michael Tompa, Alexander Petöfi und
Johann Arany zur Herrschaft. Die beiden ersten sind als Lyriker, Arany ist als erzählender
Dichter der größte Stolz der ungarischen Literatur.
Michael Tompa (1817—1868) gelaugte durch seinen Band: „Volksmärchen,
Volkssagen" (1846) zu literarischem Ruf; der Volkston dieser Märchen, die poetische
Auffassung und die schlichte Anmuth einzelner Scenen fanden so viel Beifall, daß das
Buch schon nach zwanzig Tagen in zweiter Auflage erschien. In den heiteren poetischen
Erzählungen Tompas herrschen volksthümlicher Humor, gemüthlicher Scherz und eine
sonnige Komik, so daß sein „Matthias Sznhay", „Der Notar von Vämosnjsalu" und die
„Drei Reiher" zu den werthvollsten derartigen Prodncten der Literatur gehören. Anch
die „Blumenmärchen", in denen er die Wandlungen des menschlichen Lebens verbildlicht,
erlebten mehrere Auflagen. So groß aber auch die Wirkung der erzählenden Gedichte
Tompas war, seine Dichterkraft bewährt sich doch am meisten in den lyrischen Werken.
Da entfaltet sich nach Inhalt und Form ein mannigfaltiger Reichthum. Seine fruchtbare
Phantasie brütet gern über den Erinnerungen der Vergangenheit, aber auch über den
Bildern der Natur, deuen er die Wärme des eigenen Empfindens einhaucht. Seine Muse
ist sehr empfänglich für die Freuden der Familie und für Freundschaft; er singt die Ein-
gebungen des Glaubens, die Veränderungen der Natur, die Liebe, die verschiedenen
Erscheinungen der Vergänglichkeit und vor Allem die Vaterlandsliebe. Der Grundton
seiner Lyrik ist das Leid des Mannes, das in den schönsten Elegien austönt. Doch hebt
sich seine edle und ergreifende Empfindung oft bis zur Ode oder sie schmilzt in fruchtbarer
Beschaulichkeit dahin. „Aus seinen meisten Werken" — schreibt Beöthy — „spricht zu uns
der Verzicht auf die Erfüllung so manchen Traumes einer hohen Seele, aber es ist eine
Entsagung, welche die Neigung des Herzens zu allem Göttlichen und Menschlichen warm
erhält." Manche seiner Volkslieder sind in den Volksnmnd übergegangen, die tiefste
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch