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leidenschaftlichen Jdeengährnng in dem Europa der Dreißiger-Jahre, sowie des modernen
Individuums in seinem tragischen Kampf und Weltschmerz, zwischen Zweifel und Glauben,
unheilbarem Leid und religiösem Trost. In diesem poetischen Gemisch lebt „das ganze
Leiden unserer Zeit, für die es kein Glück gibt", das Vorurtheil und Gedächtniß der
Aristokratie, die Hoffnung und Schwärmerei der Demokratie. Die philosophischen
Betrachtungen und die religiöse Erhebung des „Karthäusers" führten das ungarische
Publikum, zu dessen Lieblingsbüchern das Werk noch jetzt gehört, in den Jdeenkreis der
europäischen Gesellschaft ein. Zwei andere Romane Eötvös': „Der Dorfnotar" lslu
und „Ungarn im Jahre 1514" (^-laFvarors^äZ 1514-dsn) sind poetische Ver-
körperungen seiner politischen Ideen. In beiden erhebt die Würde der Menschenrechte das
Wort für die Rechtsgleichheit der Menschen, gegen die Unterdrückung der Leibeigenen. Im
„Dorfnotar" schildert er die ungarische Gesellschaft vor 1848, die Privilegien des Adels,
die unerträglichen Lasten der Leibeigenen, das Comitatssystem und dessen mannigfache
Übelstände; er schildert sie mit bitterer Satire, Humor oder feiner Ironie, mit Gefühl
und Pathos, aber stets in vornehmer, dichterisch gehobener Form. In dem anderen Werke
zeigt er den Zustand Ungarns vor der Niederlage bei Mohacs nebst den herrschenden
Zeitideen und den drohenden Lehren des Bauernaufstandes, was eine Anspielung auf
die nothwendige Aufhebung der Leibeigenschaft war.
Niemand weiß die Ideen und Leidenschaften der Zeit schärfer aufzufassen als Eötvös.
In der Ausarbeitung jedoch, zuweilen auch in der Entwicklung der Charaktere ist er nicht
immer glücklich, auch ist seine Sprache etwas schwerfällig und als Magyarisch nicht rein
genng. Allein diese Mängel werden nicht nur ausgeglichen, sondern oft völlig ausgelöscht
durch seinen Jdeenreichthum und eine Poesie, die sich in Reflexion versenkt und dennoch
von Empfindung überquillt. „In manchen Einzelheiten seiner Werke", schreibt Gynlai,
„ist der Philosoph oft stärker als der Künstler, aber die Einwirkung des Ganzen ist stets
dichterisch. Er unterhält weniger als Andere, immer aber erhebt und veredelt er. Seine
Phantasie erschöpft sich bisweilen, sein Gemüth niemals; diese reiche Quelle von Schmerz
und Trost, von Menschenliebe und Glauben ist unerschöpflich."
Der historische Roman erreichte in Ungarn durch Sigmuud Kemeuy (1816—1875)
seinen Gipfelpunkt. Auch Kemeuy stammte aus alter hochadeliger Familie, einer seiner
Ahnen saß im XVII. Jahrhundert auf dem Throne Siebenbürgens. Wie Jösika, so
schöpfte auch er den Stoff seiner meisten Romane aus der Geschichte seiner gebirgigen
Heimat. Allein während der Blick Jösikas selten tiefer in die Geheimnisse der die Zeit
bewegenden Ideen eindrang, liegt Kemenys beste Kraft gerade im historischen Scharfblick,
in der Wiederbelebung der herrschenden Ideen und Leidenschaften. Von Martinuzzi
angefangen, kennt er jeden irgend bedeutenden Menschen des XVI. und XVII. Jahrhunderts
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch