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aufs genaueste, er forscht den Triebfedern ihrer Handlungen nach uud zerfasert diese mit
ebenso tiefem historischen als psychologischen Sinn. Er schildert die Kämpfe der Katholiken
und Protestanten, die Schwärmerei der in Siebenbürgen zur Entwicklung gelangten
kleineren protestantischen Secten, die in Wien und Konstantinopel gesponnenen Ränke, die
Gewaltherrschaft der Geistlichkeit und des Adels, den siebeubürgischeu Fürstenhof, kurz
den ganzen Geist, das ganze öffentliche und private Leben des XVI. und XVII. Jahrhunderts.
Seine Romane sind wahre Tragödien, und zwar „schildert er nicht sowohl das
Tragische der Verbrechen, als vielmehr die Irrthümer der edlen Leidenschaften, sozusagen
der Tugend". In seinen geschichtlichen Romanen: „Gyulai Päl", „Die Witwe und ihre
Tochter", „Die Schwärmer", „Rauhe Zeit", sowie iu den socialen Romanen und Novellen:
„Mann und Frau", „Liebe und Eitelkeit", „Nebelbilder", „Abgründe des Herzens"
gerathen die Helden größtentheils durch die Übertreibung des Edelmnths, der Tugend,
ins Verderben. Seine tragische Auffassung und rauhe Hoheit, der fast gänzliche Mangel
an heiteren idyllischen Bildern machen seine Romane ermüdend. Man muß sie förmlich
studireu, dann aber sieht man mit wahrem Kunstgenuß, wie Kemeny seinen künstlerischen
Zweck auf das engste mit der geschichtlichen Wahrheit verknöpft, wie er die Charaktere
vorzüglich malt, die geheimsten Schlupfwinkel des Herzens erstaunlich genau kennt, die
Wirrnisse der zusammengesetzten Leidenschaften psychologisch zergliedert und in ergreifenden
Monologen den Seelenzustand des Individuums auseinanderlegt. Immer strebt er nach
Vollständigkeit und Jndividualisiruug, dem Typus geht er aus dem Wege. Seine Gesüge
sind schwerfällig, er hat weniger Formsinn, Anmuth und Leichtigkeit des Erzählens sind
ihm fremd, allein er überströmt fortwährend von Ideen, ursprünglichen Gedanken, über-
raschenden Einfällen, von Bildern und Gleichnissen, die er der Kunst und Wissenschaft,
dem Leben und der Erfahrung entlehnt. Kein anderer ungarischer Romanschriftsteller weiß
die Einwirkung der Natur uud Umgebung getreuer darzustellen. Vollends ist er, wie
Gyulai schreibt, der poetischeste Dolmetsch jenes Seelenzustaudes, „wo die Dialectik des
Verstandes das Herz oder die des Herzens den Verstand einschläfert, wo die Einbildungs-
kraft die Gegenstände vergrößert oder verkleinert und die Leidenschaft befeuert oder kühlt,
des Zustaudes von Taumel und Ernüchterung, von Hingerissenheit zur That im Gefühl
der Rückwirkung dieser That, von unbestimmter Träumerei und ahnungsvollem Brüten.
Diese Stellen seiner Romane werden allezeit zu den schönsten Blättern der ungarischen
Dichtung gehören."
Noch vor Kemeny war Ludwig Kuthy aufgetreten, einer der gelefensten Schrift-
steller der Vierziger-Jahre. Sein Roman: „Vaterländische Mysterien", obgleich als
Ganzes ein verfehltes Werk, ist das Zeugniß eines außergewöhnlichen Talents. Kuthy ist
weder in der Auffassung, noch in der Charakterzeichnung stark, aber einige seiner Land-
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch