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Seine Studien über die ungarische Volksdichtung, über ein Vierteljahrhundert ungarischer
Literatur (1830—1855), ferner die „Laufbahnen und Palmen" und andere kleinere Arbeiten
sind unter den einschlägigen Erzeugnissen der Literatur mit in erster Reihe zu nennen.
Neben Erdelyi, der sich während der zweiten Hälfte seiner Laufbahn in zumeist philo-
sophische Studien vertiefte und an der Abfassung einer allgemeinen Literaturgeschichte
arbeitete, traten zu Anfang der Fünfziger-Jahre vier ungarische Kritiker auf: August Greguss,
Paul Gynlai, Franz Salamon und Karl Szäsz. Sie vertheidigten die rein nationale
Richtung Petöfis und Aranys gegen die in übertriebener Volksmäßigkeit versumpfenden
Lyriker und beobachteten anderseits jede irgend bedeutende Erscheinung der Literatur,
um das Publikum zu orientiren. August Greguss widmete sich mehr dem theoretischen
Theile der Ästhetik, obgleich er sich auch gerne mit der Zergliederung hervorragender
Dichtungen befaßte („Über die Ballade", „Über die Balladen Johann Aranys", „Studien"),
ja auch Versuche mit Fabeln und künstlerischen Übersetzungen machte. Franz Salamon und
Karl Szäsz waren die ständigen Kritiker der literarischen Erscheinungen in den Fünfziger-
Jahren. Salamon trat mit seinen tiefgreifenden, an kernigen Gedanken reichen Studien
an die Seite Aranys und Petöfis, dieser hervorragendsten Vertreter der neueren nationalen
Dichtung, und untersuchte ihre Werke, sowie die Zriuyis, Csokonais und anderer aus-
gezeichneter ungarischen Dichter mit einer specifischen Urwüchsigkeit, die sein ganzes Wesen,
seine gesammte Thätigkeit kennzeichnet. Szäsz, der über eine in Ungarn fast beispiellose
Kenntniß der Weltliteratur, sowie über gründliche Gelehrsamkeit verfügte, erläuterte
weniger die ungarischen Werke, als die großen Dichtungen der Weltliteratur (Nibelungen-
lied, Königsidyllen, Divina Commedia, die Epen der Weltliteratur), und zwar mit feinem
Geschmack, eingehender Sachkenntniß und großer Empfänglichkeit.
Doch Niemand in Ungarn hat auf dem Gebiete der kritischen Untersuchung so
unschätzbare Verdienste als Paul Gyulai, der in die Fußstapfen der älteren ungarischen
Kunstrichter trat und, voll aufrichtiger Pietät für die Überlieferungen, aber auch auf das
Studium der Meisterwerke ungarischer und ausländischer Poesie gestützt, die Werke der
vorzüglichsten ungarischen Dichter (Vörösmarty, Petöfi, Arauy, Tompa, Eötvös, Jokai,
Kemeny, Szigligeti, Katona u. s. w.) mit durchdringend scharfem Geiste und ungewöhnlichem
Reichthum an klaren Ideen zergliederte. Er ist in Ungarn der bedeutendste Vertreter der
literarischen Kritik, sowohl hinsichtlich der Tiefe seiner Auffassung und der Neuheit seiner
Ideen, als auch durch die feine Kunst der Analyse und die Ursprünglichkeit der Dialectik,
wie nicht minder vermöge seines tadellosen Stils, edlen Vortrags und klangvollen Aus-
drucks. Seine literaturgeschichtlichen Monographien („Biographie Michael Vörösmartys",
„Josef Katona und sein Bänk-Ban") sind ebenso mnstergiltig als seine in der Akademie
und Kisfaludy-Gesellschaft gehaltenen Denkreden. Die letzteren gehören zu den vorzüg-
ss-
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Band 12
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (3)
- Band
- 12
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.49 x 21.91 cm
- Seiten
- 626
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch