Seite - 68 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13
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Die Bedeutung des Thals ist weniger in den Verhältnissen seiner Landschaft als seiner
Bevölkerung gelegen. Wer je Gelegenheit gehabt hat, die Bewohner desselben in ihrer
sonderbaren Tracht zu sehen und ihrer merkwürdigen Sprache zu lauschen, kann ihnen eine
geradezu srappirende Originalität wohl kaum absprechen, die weder durch die Fremde, wo sie
als Teppich-, Uhren- und Strohhuthändler umHerreisen, noch durch das Kleid verkürzt wird.
Fast parallel zum Desereggerthal läuft das vom Jselbach durchströmte Virgenthal,
das großartigste des Tauerugebietes. In seinem wundervollen Thalbecken, dessen Hinter-
grund von einer wahren Gletschermauer gebildet wird, über welche die imposante Röthspitze
(3.492 Meter) mächtig emporragt, liegt Prägraten. Das Thal steigt dann als Umbalthal
empor gegen die Böwellalpe, die durch zwei über einander liegende, sehr wasserreiche
Cascaden des Großbachs von fast 300 Meter Höhe ausgezeichnet ist. Nun wird es
immer enger, so daß sich der Pfad nur mehr mühsam am jähen Felshange hinschlängelt.
Im Grunde desselben ladet die Klarahütte zur Besteigung der Simonyspitze (3.480 Meter)
und der Dreiherrnspitze (3.499 Meter) ein. Die Haupttour aber führt über die von
Erzherzog Johann erbaute Johannshütte mit großartiger Fernsicht auf das Venediger
Massiv zum Großveuediger (3.673 Meter).
Das letzte der bei Wiudifch-Matrei ausmündenden Thäler ist das Tanernthal,
welches in einer Länge von etwa sechs Stunden die nördliche Fortsetzung des Jselthals
bildet, ein Thal von außerordentlicher Landschaftspracht, mit dem Tanernhans, einem
schönen, gemauerten Hospiz für jene, die den Velber-Tauern überquerend nach Mitterfill
aufbrechen. Die Gegend ist ziemlich monoton und der fahle Sumpfboden läßt nicht
annähernd die Herrlichkeit ahnen, welche wenige Schritte später sich entfaltet. Da liegt
er denn vor uns, der Schluß des Tauernthals, das Mutterhaus des Tauerubachs, das
wundervolle Gschlöß mit seinen riesigen von Moos überwachsenen Rollsteinen, von denen
einer eine kleine Kapelle einschließt, mit seinen ärmlichen Alpenhütten im Vordergrund
und dem mächtigen Schlattenkees im Hintergrund, der vor Zeiten an Großartigkeit nur
von dem Pasterzen- und Ober-Sulzbachgletscher übertroffen wurde, seit Jahren aber in
einem ganz auffallenden Rückgange begriffen ist. Wie er da glänzt im reinsten Weiß des
Krystallglases und dann wieder spielt in den herrlichsten Regenbogenfarben, zwischen dem
edelsten Stahlblau und dem dunkelsten Purpurroth — und wie der eisige Bach hervorquillt
aus dem mächtigen Gletscherthor, dessen Öffnung einem Riesentunnel vergleichbar mit
Tausenden von glashellen Stalaktiten geziert ist! Nördlich vom Schlattenkees liegt der
Kesselkopf, welcher den schönsten Anblick des Gletschers gewährt, und an demselben die
Pragerhütte, von welcher man in wenigen Stunden den Großvenediger ohne jegliche Gefahr
und Beschwerde erreicht. Die ganze Gegend ist einer der werthvollsten Edelsteine im
Schmnckkästlein unserer Heimat.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch