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Mischung des Alamannischen und Bajuvarischen, die Bewohner des Eisackthals, sowie
der untere Etschländer nähern sich dem Pusterthaler. Es darf daher nicht wundern,
wenn diejenigen Züge und Eigenthümlichkeiten, welche den Charakter eines Volkes aus-
machen, bei der Bevölkerung Tirols nicht einheitlich vertreten sind, sondern znm Theil in
verschiedenem Ausmaße vertheilt sich offenbaren.
Was die geistigen Fähigkeiten des Tirolers anlangt, so ist derselbe durchgeheuds
reich begabt. Das zeigt die verhältnißmäßig große Anzahl bedeutender Männer, die das
Land auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft und Kunst hervorgebracht hat.
Am stärksten ist diese Anlage beim Oberinnthaler vorhanden, der an Schärfe des Verstandes
alle anderen übertrifft. Ebenso ist bei ihm, wie überhaupt beim Tiroler, der Kunsttrieb
hochentwickelt. Fast scheint es, als ob sich hinsichtlich dieser ausgesprochenen Anlage eine
Nachwirkung der früheren romanischen Bevölkerung geltend machte. Heller Verstand
zeichnet auch den Pusterthaler nnd Vinstger aus, nicht ohne Beigabe klug berechnenden
Sinnes. Ju dieser Hinsicht stehen diese letztgenannten Beiden bei ihren nördlichen Landes-
angehörigen in etwas schlimmem Gerüche und das landläufige Sprichwort: „Der Pusterer
hat a Kuh g'stohlen und der Vinstger hat sie ihm außerg'logen" zeigt jedenfalls, daß sie
nicht auf den Kopf gefallen sind und eine gewisse Übervortheiluugsgabe ihnen zu eigeu ist.
Neben dem klaren Verstände ist ein gewisser Zug von Gemüth jedem Tiroler ange-
boren. Ausgesprochen tritt er nur beim Uuterinuthaler zu Tage, der ob dieser harmonischen
Mischung der liebenswürdigste und uneigennützigste der tirolischen Bewohner genannt
werden muß. Daneben macht sich bei ihm laute Lebenslust mit stark hervortretender Sinn-
lichkeit geltend. Deßhalb ist auch im Unterland die Heimat des Volksgesanges, der in
keinem Landestheile so hell erklingt. Dieser bald mehr bald weniger ausgeprägten
Gemüthsanlage der Tiroler entspricht auch ihr tief religiöser Sinn. Zeugniß dafür sind
die vielen und schönen Kirchen und zahllosen Kapellen, die allerorts dem Wanderer entgegen-
grüßen. Besonders im armen Oberinnthal ist die Religion Herzenssache und nirgends
ist rührendes Gottvertrauen so zu Hause als dort. Der Besuch der Messe leitet den Tag
ein, wie der abendliche Rosenkranz denselben beschließt. Arme Leute, fromme Leute. Im
Zusammenhang damit steht die große Achtung, welche die Geistlichkeit im Volke genießt,
wie umgekehrt der große Einfluß, den erstere auf das letztere ausübt. Mit der Sittlichkeit
ist es im Großen und Ganzen nicht viel besser bestellt als in anderen Alpenländern, aber
auch gewiß nicht schlechter. Irrig wäre jedenfalls die Ansicht, daß Tirol ein jungfräuliches
Laud sei. Auch hier muß nach der Gegend wohl unterschieden werden. Während in den
alamannischen Bezirken, besonders im Oberinnthal und Vinstgau, auf Zucht und Sitte
streng gehalten wird und ein gefallenes Mädchen in der Gemeinde fast vervehmt ist, nimmt
man es im lebenslustigen Unterinnthal, wie auch im Pusterthal in dieser Hinsicht nicht so
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch