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Kaum ist das Kind ein wenig herangewachsen, so lernt es aus dem Muttermunde das
Liedchen vom Kinde Jesus: Lanta, canta, rosa o tior, ^ nassü 'I rioss signor, ze. Ein
eigenthümliches Volkslied ist das Lied des mvleta, das ist des Schleifers von Ober-
Rcndena, der mit seinem Schleifzeug die entlegensten Orte Österreichs, Deutschlands
und Italiens aufsucht. Endlich wollen wir auch ein „II komdabä« genanntes Trinklied
erwähnen, welches, wie in vielen Gegenden Italiens, auch in Wälschtirol noch immer
fortlebt nnd wobei ein Zecher, das gefüllte Glas seinem Tischnachbar reichend, fingt:
Leve, bsve, compars, se nc> vs ma^^erv! (Trinket, trinkt, Gevatter, sonst werdeich Euch
umbringen!) und der Nachbar, indem er das Glas ergreift, erwiedert: Litosl cke ms
ma2?eAlie, cvmpare, beverö! (Lieber, als daß Ihr mich umbringt, trinke ich, Gevatter!)
Während er nnn trinkt, singen alle anderen: Lvtant cke 'I beverä, Zke eanwrem ei
dombabä! Lomdadä! kvmdadä! Lomdabä! Lombakä! (Indessen er trinkt, laßt uns
singen: Bombabä ?c.) Der Zecher, welcher während des Gesanges das Glas geleert hat,
fährt fort: L 1'tio bsvuto wtto s no 'I m'ka latto mal! (Ganz habe ich es ausgetrunken
und es hat mir nicht geschadet!) Nun endigt der Chor die feuchtfröhliche Stimmung mit
der Bestätigung, daß der Zecher wirklich Alles, ohne Schaden zu nehmen, ausgetrunken
habe, und nach einem Hoch auf Bacchus und den Saft der Reben wird das Glas rasch
dem Nachbar gegeben und der Gesang geht wieder von vorne an; dies dauert solange bis
das Glas die Runde gemacht hat.
Bemerkenswerth ist in der Geschichte der Volksdichtung von Wälschtirol das Auf-
treten eines eigentlichen fahrenden Volkssängers (KiuIIare, klkapsoäen) noch in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Wälschtirol hatte seinen letzten fahrenden Sänger in
Girolemino aus Trieut, welcher vor beiläufig zwanzig Jahren gestorben ist. Klein von
Gestalt, mit schwarzen und lebhaft glänzenden, von dichten und langen Brauen beschatteten
Augen und großem, stets lächelnden Munde erschieu er au den Tagen seines Auftretens
mit einer Schellenkappe auf dem Kopfe, welche mit langen zuugeuförmigen Papierstreifen
ringsum besetzt war, in einem ausgezackten buntscheckigen, weiten Rock mit wunderlichen
Zeichnungen und mit gesticktem Bruststreif. Er besuchte Kirchmessen und Jahrmärkte, Bade-
anstalten und Sommerfrischen, wo er die Menge mit seinem von ihm selbst auf der Zither
begleiteten Gesang vergnügte. Meist sang er Gelegenheitsgedichte eigener Erfindung,
manchmal auch aus dem Stegreif, spaßhaften Inhalts, nicht selten aber auch beißende
Spottgedichte gegen einzelne Personen oder gegen lächerliche Sitten und Gebräuche eiues
ganzen Ortes. Niemand fühlte sich verletzt, da Alle wohl wußten, daß der Volkssänger
Girolemino ohne bösen Hintergedanken blos die Zuhörer ergötzen und lachen machen
wolle und daß es ihm nur auf ein klingendes Zeichen der Anerkennung ankam, das er
dankbar entgegennahm.
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch