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blühender werden die ladinischen Sprachverhältnisse. Die Sellagruppe muß überhaupt
als jeuer Stock bezeichnet werden, an dessen Fuße kranzförmig rings herum das Ladiuische
Tirols sich in einem fast ganz reinen und unverfälschten Colorit bis auf die Gegenwart
erhalten hat; am Fuße der südlichen Abstürze beginnt das obere Fassathal, im Westen
Groden und im Norden das Sprachgebiet der Gader oder Euueberg; in diesen
drei Thälern wird das Ladinische am reinsten gesprochen; in Buchenstein dagegen,
welches am Fuße der südöstlichen Sellagrnppe-Abstürze beginnt und von da in südöstlicher
Richtung aus beiden Seiten des Cordevole in Form abschüssiger und steiler Lehnen sich
bis zum venetiauischeu Gebiete hinzieht, zeigt das Idiom, wenn auch im Ganzen ladinische
Sprachverhältnisse überwiegen, namentlich rücksichtlich der Flexion und des Wortschatzes
schon bedeutende Spuren venetiauischeu Einflusses; dies gilt vorzüglich von der Mundart
von Colle Santa Lucia, welche wie das Idiom des Boitagebietes oder Ampezzos
mit den cadorinischen Mischdialecten als Übergangsstufe zum Friaulischeu bezeichnet
werden muß.
Die Zahl der Ladiuer Tirols beträgt, wenn man von den Mischdialecten
absieht, ungefähr 15.828, von denen 4.000 auf Faffa, 3.679 auf Gröben, 6.067 auf
Euueberg und 2.082 auf Buchenstein mit Ausschluß von Colle Santa Lucia entfallen.
Die Alpengegenden Tirols, in denen heute mehr oder weniger rein ladinische Idiome
gesprochen werden, bildeten einstens einen Theil der römischen Provinz Rhätia, die nach
den hier von den Römern bereits vorgefundenen Bewohnern, den Rhätern, genannt wurde.
Über den Zeitpunkt der Romanisirnng der heutigen ladinischen Hochthäler Tirols haben
wir zwar keine bestimmte Kunde, doch muß dies zur Zeit der Einwanderung der Bajnvaren
um die Mitte des VI. Jahrhunderts bereits der Fall gewesen sein. Auch ist es mehr als
wahrscheinlich, daß infolge der bajuvarifchen Invasion die Römer der Hauptthäler Tirols
in die rhätischeu Hochthäler sich zurückzogen, das dort schon herrschende romanische Element
verstärkten und die Überreste der rhätischen Urbevölkerung absorbirten, was umso leichter
geschehen konnte, als gleichzeitig Flüchtlinge aus Italien vor den Gräneln der Kriege
zwischen Gothen und Byzantinern in den sicheren Bergen Rhätiens Schutz und Zuflucht
suchten. Daß aber das romanische Element trotz der Flutheu germanischer Invasion in
den rhätischen Bergen bis auf die Gegenwart sich erhalten konnte, hat seinen Hauptgrund
in der Abgeschlossenheit der Alpenthäler und im starren, unbeugsamen Festhalten der
Bewohner an dem Althergebrachten. Damit hängt es aber anderseits auch unstreitig
zusammen, daß die ladinischen Idiome, wiewohl alle aus dem Volkslatein hervor-
gegangen und daher unter einander innigst verwandt sind, dennoch zu keiner einheitlichen
Sprachform gelangten, und zwar umfoweniger, als es an einem politischen oder
cultnrellen Centrum diesen kleinen Volkssplittern fehlte, die, von numerisch und cultur-
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch