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wo das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit herrscht, dieses Bewußtsein fehlt aber den
Ladinern Tirols aus den bereits angedeuteten Gründen. Auch scheint es an Begeben-
heiten gefehlt zu haben, die sich in historischen Volksliedern hätten spiegeln können; nicht
einmal das Liebeslied, welches ja bekanntlich den größten Theil der Volkslieder in anderen
Ländern auszumachen pflegt, hat in Ladiuieu ein Heim gefunden, ebensowenig das Jäger-
lied. Am meisten zu Ehren sind Gelegenheitsgedichte gekommen; in dieser Hinsicht können
einige poetische Versuche gelegentlich des Regierungsantritts des Fürstbischofs von Trient,
des Grafen Vigilius Thun, aus dem Jahre 1776 im Nousberger Dialect von einem
gewissen Nardoleo Cireio und Siel da Cles erwähnt werden; in derselben Mnndart
besitzen wir einige Hochzeitslieder, darunter eines aus dem Jahre 1777 von Siel da Cles,
das Bezug hat auf die Heirat eines Grafen Matthäus Thun. Audere poetische Versuche,
theils Primiz-, theils Jnstalliruugslieder, die sich fast ausschließlich auf Nousthal und
Enneberg beschränken, verdienen höchstens in sprachlicher Hinsicht Erwähnung. Die
einzige poetische Erscheiuuug von einiger Bedeutung auf dem ladiuischeu Sprachgebiete
Tirols sind die 1885 in Innsbruck herausgegebene» ,kiines 1,aäiries«. Der Vers-,
Reim- und Strophenbau der erwähnten Versuche lehnt sich an das Italienische an.
Volksleben in Vorarlberg.
Es ist nicht leicht, den Charakter der Vorarlberger als eine» einheitlichen zu kenn-
zeichnen; die Bewohner des kleinen Landes sind ja weder gleicher Abstammung, noch
gehörten alle bis in uuser Jahrhundert herein dem nämlichen Staate an, überdies erfreuten
sich auch die einzelnen Gerichte der österreichischen Herrschaften infolge ihrer mannigfaltig
abgestuften Freiheiten und Rechte eiuer gauz eigenthümlichen Entwicklung. Die Gliederung
des Gebietes iu Thalschaften, die Gegensätze des Klimas, die Verschiedenheit der Beschäfti-
gung und Lebensweise in deu Bergen und im tiefer gelegenen „Lande" war hier wie
überall von einschneidender Wirkung. Und doch läßt sich ein gemeinsames Gepräge des
Völkchens nicht verkennen. Das Alamannenthum hat den Romanismus des südlichen
Churwalheugaus gänzlich bezwungen; die eingewanderten Walser haben bei diesem Vor-
gang redlich mitgeholfen und müssen selbst als ein wichtiger Bruchtheil alamauuischen
Volksthums gelten. Ist das schwäbische Wesen nichts Anderes als eine Abschwächuug des
alamannischen, so macht sich diese hier nur im äußersten Norden bemerkbar; im Osteu
aber hielt eine hohe Gebirgsmaner von je die Einwirkung tirolischer Art fern. Auf den
alten Landtagen gab es nur Bürger nnd Bauern, Adel uud Geistlichkeit waren dort
unbekannt. Dieser Umstand, reichlich zugemessene Freiheiten, die Möglichkeit einer selbst-
ständigen Ausgestaltung der kleinen Geineinwesen und die Nachbarschaft vieler Reichs-
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch