Seite - 382 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13
Bild der Seite - 382 -
Text der Seite - 382 -
382
gezogen sein. Es ist naturgemäß, daß sich die alten Sagen an den gewaltigsten Recken
anlehnten und von seinen Kämpfen mit Zwergen und Riesen erzählten. Das Gedicht von
König Laurin, der in der Nähe des Schlosses Tirol wohnte, den duftreichen Rosengarten
zog und auf Schloß Lichtenberg im Vinstgan in Fresken dargestellt ist, schildert einen
solchen Kampf des Berners und seiner Gesellen mit dem listigen Zwergkönig und mit
seinen Zwergen und Riesen. Auch im Eckenliede, das an der Etsch und im Nonsthal zu
den volksthümlichsteu Gedichten zählte und bis ins XVI. Jahrhundert viel gesungen wurde,
tritt der große Berner als Riesenbezwinger auf. Der Verfasser dieses Liedes und eines
Fragmentes „Goldemar" war Albrecht von Kemenaten, aus einem adeligen Geschlecht im
Pusterthal (urkundlich in den Jahren 1219 und 1241).
Das deutsche Heldenlied lebte in unserem Berglande fort, als es in anderen deutschen
Gauen längst durch fremde Stoffe verdrängt war. Der kunstsinnige Nikolaus Vintler, der
um die Wende des XIV. und XV. Jahrhunderts Ruukelsteiu erweiterte und mit Bildern
schmückte, ließ an die Wand des Söllers Gestalten aus der deutschen Sage malen. Da
stehen neben den Größen des classischen Alterthums in den Triaden Siegfried und Dietrich
von Bern, Dietleib von Steyr, Riesen und Riesinnen; die Bekanntschaft mit den Stoffen
der fremden höfischen Epen aber zeigen uns die Gestalten des Parzival, Jwein und
Gawein an. Wie vertraut man mit den berühmtesten Dichtungen der Zeit war, lehren auch
die Gemälde aus Eilharts Tristan, Wirnts Wigalois, Pleiers Garel und Bilder zu Neidharts
Liedern, welche diese ehrwürdige Kaiserburg ausweist. Wo in ganz Deutschland finden wir
eine ähnliche Verherrlichung der deutschen Dichtung durch den Pinsel als in dieserLieblings-
burg des Kaisers Max, der die Gemälde erneuern ließ? Das Heldenbuch an der Etsch, in
dem uns die Kudruu und der Erek des Hartmann von Aue erhalten sind und das auf
Befehl des kunstsinnigen Kaisers von Hans Ried, Zollner in Bozen, am Beginn des
XVI. Jahrhunderts abgeschrieben wurde, stammt wohl auch aus der Burg, die in unseren
Tagen durch Seiner Majestät hochsinnige Huld Rettung und neue Ehre gewann.
Während in Tirol das volksthümliche Epos gepflegt wurde, fand das höfische im
Nachbarlande Vorarlberg einen glänzenden Vertreter in Rudolf von Ems (gestorben 1254),
der neben Konrad von Würzburg der bedeutendste Schüler Gottsrieds von Straßburg war.
Seine Dichtungen: der gute Gerhard, Barlaam und Josaphat, die Alexandreis zählen zu
den besten Erzeugnissen höfischer Erzählungskunst.
Neben der Epik erklang im herrlichen Berglande auch „Nachtigallensang". Wann
wurde zum ersten Male hier das Schnaderhüpsel oder das Trutzlied gesungen? Bis in die
ältesten Zeiten jedes Volkes reicht auch die Gemüthspoesie zurück, denn wer kann sich die
Liebe ohne das Lied denken? Unwillkürlich erinnert man sich der Schnaderhüpsel, wenn
man das alte Lied liest: Ich bin dm, du bist min. Es ist ein Volksreim, der dem
zurück zum
Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Tirol und Vorarlberg, Band 13"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Band 13
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Tirol und Vorarlberg
- Band
- 13
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1893
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.12 x 23.1 cm
- Seiten
- 624
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch