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Maßwerk des großen Fensters nächst der Kanzel, und das war der Anfang, welchem in
den Wochen darauf nicht weniger als 22.000 ähnliche Geschosse nachfolgten; als am
20. Juni infolge des Dann'schen Sieges bei Kolin die Belagerung eiligst aufgehoben
wurde, fanden sich im Innern des Doms bei 770 Kugeln vor, das Kirchendach war an
215 Stellen durchlöchert. Und so viel Wunden und Schäden hat der Prachtbau aus-
gehalten! Gelitten hat er, wie sich denken läßt, allerdings unsagbar, und als etwa
80 Jahre später der Domherr Wenzel Pesina mit den allerbescheidensten Anfängen den
Plan eines Ausbaues der St. Veitskirche faßte und zu Anfang der Fünfziger-Jahre mit
der Herstellung der alten Theile begonnen wurde, da hat sich an mehr als einer Stelle
gezeigt, daß es höchste Zeit war, dem drohenden Einsturz einzelner Gebäudetheile einen
Damm zu setzen. Nebst dem Dom waren die Profangebäude der Burg, die königliche
Residenz, das königliche Damenstift (ursprünglich Rosenberg'scher Palast) fürchterlich
zugerichtet, das Hofopernhaus jenseits der Staubbrücke lag in Schutt und Asche. Von den
inneren Ausschmückungen des Schlosses ging nichts verloren, weil ja der Feind bei aller
seiner vandalischen Anstrengung nicht in den Besitz desselben gelangt war.
Auch in dieser Hinsicht dem einstigen „achten Wunder der Welt" unwiderbringlichen
Schaden zuzufügen, blieb dem sogenannten Aufklärungszeitalter vorbehalten, dem es an
Pietät und Verständniß einer großen Vergangenheit völlig gebrach. Das königliche Schloß
ob dem Hradschin sollte in eine Kaserne umgewandelt werden — der „Königshof"
nächst dem Pulverthurm wurde es in der That —, und als man für diesen Zweck an
das „Ausräumen" ging, da stieß man in fest verschlossenen Kellern auf die wohl-
verpackten Reste der Rudolfiuischen Sammlung, die vollends in Vergessenheit gerathen
waren. Ohne auch nur daran zu denken, daß irgend eine kunstverständige Autorität
zu Rathe zu ziehen wäre, wurde 1782 für diesen „nutzlosen alten Plunder" eine
Versteigerung anberaumt, Hausirjuden und Trödler aus ganz Prag zusammengetrommelt
und so Gegenstände, die zu den werthvollsten Denkmalen der Kunst gehörten, für einen
oder ein paar Gulden, ja für einige Kreuzer^ das Stück den Meist- (!?) bietenden
hintangegeben — „das ist das Los des Schönen auf der Erde!" —
Es wurde jene kleine deutsche „Colonie" erwähnt, die sich in Prag zu der Zeit
zusammenfand, wo die Gewaltherrschaft des französischen Imperators auf das mittlere
Europa am schwersten drückte, und der Eindruck geschildert, den die böhmische Sagenwelt
aus ein dichterisch angelegtes Gemüth wie Clemens Brentano übte. Aber auch die Andern
konnten sich jenen gewaltigen Einflüssen nicht entziehen, die sich bei Allen geltend machen,
welche die altehrwürdige Königsstadt nicht blos mit ihren leiblichen Augen anschauen.
2 Buchstäblich; der herrliche Torso Jlioneus um 51 Kreuzer W. W.; zur Zeit des Wiener Congresses kaufte ihn der
Kronprinz Ludwig von Baiern um einige tausend Stück Dukaten!
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch