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Das Alles hat sich seither nach allen Richtungen vortheilhaft geändert. Die „zweite"
Sturmwelle, an deren Eintritt Szarvady nicht glauben wollte, hat das steckengebliebene
Schiff wieder flott gemacht. Hormayrs Voraussage, daß Prag seine Rolle unter den Haupt-
städten Europas nicht ausgespielt, ist zur Wahrheit geworden, und das Goethe'sche sich
„fröhlich ins Freie verbreiten" hat sich in großartiger Weise erfüllt. Die Krenn'schen und
die Wimmer'scheu Anlagen bestehen fast nicht mehr; zwei neue Städte mit Privatbauten,
Zinskasernen und Zinspalästen, Kirchen und öffentlichen Gebäuden sind an deren Stelle
aus dein Boden gewachsen: die Königlichen Weinberge (Vinokrack^) mit 34.600,
Zizkow mit 41.300 Einwohnern, von denen jene südlich mit Nusle, dieses nördlich
mit Karolinenthal, gegen 19.600 Einwohner, mehr und mehr zusammenschmelzen.
Am andern Ufer steht von dem Wratislav'schen Garten wohl kein Baum mehr, denn
Smlchov ist zu einer Stadt von 32.700 Seelen emporgewachsen und hat das Dorf
Kosir bereits in sich aufgenommen. Alle diese Vororte haben sich der Hauptstadt bisher
politisch nicht angeschlossen, die Verhandlungen darüber sind seit Jahren im Zuge;
allein baulich, culturell, gesellschaftlich hängen sie so unmittelbar mit dem eigentlichen Prag
zusammen, ja wachsen mitunter in dasselbe hinein — wie zum Beispiel der Ferdinandsquai
des Smlchov in den Onjezd der Kleinseite —, daß ihre 2500 Häuser und 128.000 Ein-
wohner thatsächlich und sachgemäß zur Stadt und Bevölkerung von Prag gehören. Da
nun die fünf Prager Städte selbst — die ehemalige Judenstadt, nun Josephstadt, jetzt
fast von ebensoviel armen Christen als Juden bewohnt — und die politisch seit 1883
und 1884 mit ihnen vereinigten Gemeinden Vysehrad und Holesovic-Bnbna
zusammen 4300 Häuser und 182.600 Seelen zählen, so beläuft sich die thatsächliche Ein-
wohnerzahl der böhmischen Hauptstadt auf mehr als 310.000 Seelen in 6800 Häusern.^
Und nun zu einem Rundgang durch die Haupttheile der Stadt! Wir beginnen
mit dem Vysehrad, in dessenHochranm wir durch die gewaltigen, 1741 und 1742 von den
Franzosen aufgeführten Verschanzungen gelangen. Er war durch Jahrhunderte nächst der
Prager Burg der Ruhm und die Zierde des Landes, dreizehn Kirchen und Kapellen sollen
in seinem Umfange bestanden haben. Wo sind sie heute? Die St. Peter- und Paulkirche
und der bescheidene romanische Rundbau zu St. Martin sind allein übrig geblieben; die
Wohnungen des Dompropstes und mehrerer Kapitulare, dann einige Militäretablissements
von der nüchternsten Einfalt, alles andere leerer, öder, zum Theil wüster Raum — das
war noch vor kurzem der einst rühm- und prunkvolle Fürstensitz! Es zeugt von der großen
Begabung Ferdinands von Saar, daß er diesen trostlosen Schauplatz in seiner lieblichen
Novelle „Jnnocens" dichterisch zu verklären wußte!
* Alle hier vorkommenden Zahlen nach der letzten Volkszählung 1890 sind nach oben um die Einser und Zehner abgerundet,
was sich beider stetig zunehmenden Bevölkerung rechtfertigen läßt. Auch ist die bei 8000 Mann zählende Garnison nicht einbezogen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch