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Gleichwohl hat der Vysehrad in jüngster Zeit neuen Glanz gewonnen. Als ich
in den Sechziger-Jahren Prag besuchte und im Gasthof „zum schwarzen Roß" abstieg,
holte mich der damalige Propst P. Wenzel Stulc in einer Droschke ab und entschuldigte
sich beim Einsteigen: „einen Fiaker könne er sich nicht spendiren!" Das aber verschwieg
der Schalk, daß er das lang verwahrloste Martinskirchlein in neuen Stand gesetzt, ein
neues geschmackvolles Propsteigebäude aufgeführt hatte uud nun, nachdem er aus deu Ein-
künften seiner Propstei durch jahrelanges Sparen 30.000 sl. zurückgelegt hatte, die Wieder-
herstellung von St . Peter und Pau l in Angriff nahm; heute steht der größere Theil
des mächtigen Baues in seiner früheren Schönheit da. Eine weitere Sehenswürdigkeit des
heutigen Vysehrad ist der anmuthig gelegene und gepflegte Friedh os, der in den letzten
Jahrzehnten zu einer Ruhmesstätte ä la ?ere I.nekaise geworden ist, wo von Dichtern
die hochbegabte Erzählerin Bozeua Nemcova, der früh verstorbene Vi'tezslav Halek, Bot.
Jablonsky (Tnpy), Karl Vinaricky, von anderen Celebritäten Hanka, Brauner, Joseph
Jirecek, der Bildhauer Vaclav Levy :e. ruhen.
Wir treten durch ein Psörtchen vor die Umfassungsmauer gegen den Fluß hinaus
und gewahren etwas unterhalb an dem schroff abstürzenden Felsenhang ein verfallenes
Mauerwerk, wahrscheinlich Überbleibsel eines dem Vysehrader Domstift zugehörigen
Wirthschaftsgebäudes. Im Volksglauben aber sind es die „Bäder der Libnssa", und
als vor mehreren Jahren davon die Rede war, längs dem Flusse eine Straße in den
Felsen zu sprengen, wobei Libnssens Bäder fallen sollten, hat sich die öffentliche Stimme
Prags mit solcher Entschiedenheit dagegen ausgesprochen, daß das Unternehmen auf-
gegeben werden mußte. Gewiß ist, daß diese Felsenpartie ein Stück ihrer malerischen
Romantik verlieren würde, wenn das altersgraue Gemäuer verschwände.
Von dem Punkt, den wir jetzt einnehmen, genießen wir einen der schönen Ausblicke
auf Prag. Ich sage „einen", denn die Lage Prags bietet deren eine Fülle, jede derselben
wetteifert mit der andern an überraschender Schönheit, und man wird kaum von einer
behaupten können, daß sie „die schönste" sei. Wir blicken nach rechts über die drei oberen
Brücken auf den Hradfchin und gegen das Belvedere. Vor uns haben wir die dichtbelaubten
Hänge des Laureuziberges mit der sie abgrenzenden, aus der Zeit Karls IV. noch
wohlerhaltenen zinnengekrönten „Hungermauer" und zur Seite der letzteren den Park,
den Fürst Rudolf Kiusky zu Anfang der Dreißiger-Jahre, um seiuer Vaterstadt, die
er schwärmerisch liebte, einen neuen Schmuck zu verleihen, aus einem wüsten Berghange
üppig uud buschig hervorgezaubert hat. Unser Blick fliegt an den villenreichen Höhen
oberhalb Smichov vorbei über die große Kaiserwiese, wo die jährlichen Wett-
rennen gehalten zu werden pflegen, haftet einen Augenblick an dem Hügel des Zlichover
Kirchleins und schweift nun mehr nach links an dem zwischen Bäumen halbverborgenen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch