Seite - 466 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Böhmen (1), Band 14
Bild der Seite - 466 -
Text der Seite - 466 -
466
Niederkunft zu erbitten; sie kommt zu einem Schmied, der sie abweist: „Wie kann ich
dir ein Lager geben? Ich habe der Gesellen eine Menge, die schmieden Tag und Nacht,
lassen das Feuer nicht ausgehn;" zuletzt findet sie einen leeren Stall zc. „Der Herr ging
ins Paradies, Adam fiel auf die Knie;" es folgt die Bezeichnung des Baumes, „der mit
blauer Blume blüht" und dessen Frucht Adam und Eva nicht kosten sollen ?c. Das Lied
soll von den böhmischen Brüdern stammen und pflegte der Braut vor dem Hochzeitsgang
vorgesungen zu werden, wo es dann mit dem Gebete schloß:
Christus für dein Dulden Schon' uns vor den Flammen,
Löse unsere Schulden, Rett' nns Christus. Amen.
Wenn der geneigte Leser den Reim „Flammen—Amen" nicht ganz richtig finden
sollte, so sei er gleich hier auf Verstöße ähnlicher Art aufmerksam gemacht, die im böhmischen
Volkslied häufig genug wiederkehren, zum Beispiel kapraäi-navräti. Sehr oft hilft sich
der Naturdichter mit einem bloßen Anklang, zum Beispiel küii-äüm; oder:
si (Zala jen riet,
cktöl s i-aäosti k oltari vi st —
Auch die Regeln der Grammatik werden dem leidigen Reim zulieb geopfert, wie in
dem vielverbreiteten hübschen Liede:
Na. t^ lonee (statt xelene)
pasou 86 tkin Mem —
wo überdies das harte V und das weiche i als Reim zu beanständen wären. Seltener als
der Reim findet sich im Volkslied die Alliteration, zum Beispiel kukalka kukala kuku.
Wie bei allen Slavenstämmen spielten in alten Zeiten ohne Zweifel auch bei den
Böhmen Barden- und Heldenlieder ihre Rolle. Es hat sich davon wenig erhalten, bei der
großen Beweglichkeit des Volksgeistes wurde im Wechsel der Zeiten das Neue ergriffen,
das Alte vergessen. Und auch dieses Neuereu ist sehr weuig. Von den Liedern geschichtlichen
Charakters reicht wohl nur eines („UiletiiiSti souseäi") seinem Inhalt nach in das
XVI. und XVII. Jahrhundert zurück, und sind es nur fünf oder sechs, die an die Drangsale
des siebenjährigen Krieges anknüpfen; der Baier, besonders aber der „Lranckebui-K"
rauben ihnen die Hühner, ziehen ihnen das Hemd vom Leibe, die Haut über den Kopf,
zünden ihnen die Häuser an; doch „Vetter Vävra, Vetter Riha, es werden bessere Zeiten
kommen, die Alles ersetzen; wir werden es bald erwarten, wie die Gans die Ähre". Wie
man aus dieser Probe sieht, ist es weder der historische Charakter noch der Bardenton,
den diese Anklänge aus einer Zeit allgemeiner Bedrängniß an sich tragen, es ist eine Art
Galgenlanne, die aus ihnen heraustönt und sie darum dem lyrischen Gebiete zuweist.
Die epischen Volkslieder profanen Inhalts knüpfen entweder an allgemein mensch-
liche Stimmungen und Lagen an, wie das so wehmüthig ergreifende: „Verwaist ein
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch