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Volksleben der Deutschen in West-, Nord- und Ostböhmen.
In den Werken älterer Geschichtsschreiber wird das Land Böhmen mit Rücksicht
auf seine Lage inmitten des Welttheils und auf sein äußeres geographisches Bild, das
merkbar der Form eines Herzens ähnelt, das „Herz Europa's" genannt. Und nicht nur
der Lage und Form, auch seiner ganzen geschichtlichen und culturgeschichtlichen Entwicklung
und Bedeutung nach verdient Böhmen bis zu einem gewissen Maße dieses auszeichnende
Gleichniß. Denn, wie das Blut von allen äußeren Theilen des Lebenskörpers im Mittel-
punkt, im Herzen, zusammenströmt und wieder hinauskreist, wie vom Herzen mächtige
Antriebe ausgehen für den ganzen Körper, so fluteten auch in Böhmen seit altersher
Volkstheile mancher Art aus Europa zusammen, mischten sich oder strömten wieder hinaus,
und viele für Europa's Geschichte wichtigste Vorgänge hatten mit einer gewissen historischen
Regelmäßigkeit in Böhmen ihren Ausgangspunkt, auch den Hanptschanplatz, um zumeist
ebendort wieder auch ihren letzten Abschluß zu finden. — Daß ein geographisch, geologisch,
geschichtlich n. s. w. so interessantes Land auch betreffs seiner Bewohner ein erhöhtes
Interesse bietet, ist leicht abzusehen. In der That weist insbesondere Deutschböhmen eine
verhältnißmäßig große Mannigfaltigkeit und besonderen Reichthum in der Entwicklung
der Bevölkerung auf. Wie die reichgegliederte Küste Griechenlands dem Griechenvolk einst
den natürlichen Anlaß zu einer reichgestaltigen, fruchtbaren Culturentwicklung gegeben
hat, so ist der weite und meist auch ziemlich breite Ring, mit dem die deutschen Landes-
einwohner von den Randgebirgen und Grenzen Böhmens her fast das ganze Land
umschließen, auch die erste und nächste Ursache der bemerkenswerthen Erscheinung, daß sich
das Cultur- und Nationalleben der Deutschen Böhmens so ungewöhnlich mannigfaltig
und hervorragend ausgestalten konnte.
Fast alle diese Gebirge boten von Natur aus gewisse selbständige Grundlagen zu
individueller Entwicklung, ebenso die in ihrer Lage und Gestaltung, in Klima und Boden-
beschaffenheit so mannigfach verschiedenen und meist sehr fruchtbaren Hauptflußgebiete;
endlich auch die verschiedenen Mischungen und regen Berührungen mit den deutschen
Grenz- und Stammesnachbarn, aus deren fränkischen, bajnvarischen uud sächsischen
Grundstämmen die Mehrzahl der Bewohner entsprossen ist, beziehungsweise sich im
Laufe der Zeit ergänzt und erneut hat. Daß unter solchen Umständen ein so fest-
geschlossener, vollkommen einheitlicher Charakter der gesammten deutschen Landesbewohner
Böhmens sich nicht in gleicher Art wie in anderen Gebieten herausbilden konnte, ist
erklärlich, und so finden sich denn in Deutschböhmen Volksarten und Charaktereigenheiten,
die, ohne der Einheit des Gesammtvolksthums wesentlich Eintrag zu thun, dem
Volksleben einen besonderen Reiz der Mannigfaltigkeit und auch einen Grad besonderer
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch