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(Henkengehen) statt. Eine Kameradschaft von zehn bis zwanzig Burschen zieht unter
Singen uud Jauchzen von Hof zu Hof. Einer unter ihnen trägt den „Gaia" (Geier), ein
junges Fichtenbäninchen, auf welchem an einem Querholz vier bis fünf junge Krähen
angebunden sind. Ihm zur Seite schreiten zwei Bursche, der eine mit geschwärztem Gesicht
und mit einem weiten Weiberrock angethan, der andere mit einem langen, von Klingel-
schellen besetzten Strohschweif an breitem Gurt versehen. Nach dem Singspruch:
„Henkma, Henkma an Gaia, Schmolz und Oia sau thaia, s Henkageih, das nimmt ka End,
bis ma an Gaia ban Hals afhängt", nehmen sie die ihnen unter Neckereien gebotenen
Gaben, die zum Schluß im Wirthshaus bei Musik und Tanz verzehrt werden. In dieser
Sitte ist wohl ebenfalls ein letzter Rest der altgermanischen Umzüge und Thieropfer zu
erkennen, die zu Sommeranfang sich mehren.
Die Sommer-Sonnwende, als die dritte Hauptzeit des alten Natur- und Volks-
jahres, hatte abermals ihren eigenen Cultus. Mit der ersten und Hauptzeit, dem Winter-
Sonnwendfest, zu Weihnachten in der „Mutternacht" der „12 Unternächte" das Jahr
beginnend, mit dem „Ostara"-, dem zweitwichtigsten, als Frühlingfest die Reihe fortsetzend,
beging das Volk im Ausgang des Juni-Mondes seit altersher die Feier der dritten
Hauptzeit: des Überganges der Natur von der Blüte zur Frucht, zur Reife und Ernte,
um im Herbst endlich mit dem vierten allgemeinen Festkreise der Frucht- und Erntefeste,
Kirmeß u. f. w. abzuschließen. Das uralte Sommer-Sonnwendfest hat sich in seinen letzten
Resten immer noch im Volke treu erhalten. Wie vor ungezählten Jahren so flammen
auch heute auf deu Kuppen und Gipfeln des Erz-, des Mittel-, des Riesengebirges und des
Böhmerwaldes noch immer die uralten Sonnwendfeuer zum nächtlichen Himmel anf. Sie
heißen in Nordwestböhmen nuu Kouues-Feuer (Johauni-Fener), in Ostböhmen (Hohen-
elbe n. f. w.) „Gehonnsfeuerln". Burschen und Mädchen halten dabei den Reigen, schwingen
sich über das Feuer, werfen Kränze über die Lohe hinweg, die Liebesglück bringen, n. f. w.
Die kürzeste Jahresnacht zur Sommer-Sonnwende gilt seit jeher ebenfalls als Geister- und
Zaubernacht. In dieser Nacht werden die heilkräftigen „Nennerlei-Kräuter" gepflückt, öffnen
sich alle in der Erde verborgenen Schätze, werden die Schätze hebenden Springwurzeln
gefunden, die Wünschelruthen geschnitten u. s. w. In früheren Jahrzehnten waren um diese
Zeit auch die Thieropfer noch sehr üblich. Bis zu Anfang dieses Jahrhunderts kam es häufig,
späterhin immer seltener vor, daß die Landleute in Ostböhmen aus den Gegenden der Elbe,
Jfer, Adler u.f.w. nach dem Riesengebirge wallsahrteten, die Männer mit schwarzen Hähnen,
die Weiber mit schwarzen Hennen, um nach den sieben Quellen unter dem Schneeberg zu
wandern, die Hähne dort im Walde frei zu lassen, die Hennen zu ertränken und hierauf
besonders aus dem sogenannten „Garten Rübezahls" Heilkräuter und Heilwasser in die
Heimat mitzunehmen. Zur Sommer-Sonnwende ist auch den Verzauberten Gelegenheit
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch