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zur Erlösung gegeben, wie dies die Sage unter anderen auch vom sogenannten „Erdbeer-
mädchen" im Tichlowitzer Thal bei Tetschen erzählt.
Den letzten Festkreis des Volks- und Naturjahrs bilden die Ernte- und Frucht-
feste, die unter dem Einfluß der christlichen Kirche „Kirchweihfeste", „Kirchmesse"
genannten Herbst-Volksfeste. Ist das Weihnachts- (Jnl-) als Hofsnnngsfest das idealste
dem Sinn wie der Sitte nach, so ist das allgemeine Herbst- als Fruchtfest das gewöhnlich-
sinnlichste im Reigen der Jahresfeste des Volkes. Dieser Umstand erklärt es auch, warum
diese Schlußfeste des Wirthschaftsjahrs, obwohl sie sich der Sache nach lang und breit
genug erhalten haben, doch des tieferen Gehaltes, der reicheren poetischen Ausschmückung
seitens des Volksbrauches mehr denn alle anderen entbehren, und so ist denn bei diesem
Festkreise verhältnißmäßig wenig Bemerkenswerthes zu verzeichnen.
Im Mittelpunkt steht die allgemeine „Landkirchweih", Kaiser-„Kermst" (Nieder-
Elbe, Aussig u. s. w.), Kerms (Saazerland), Kerwa (Ober-Egerland), welcher die einzelnen
Kirchen-und Ortserntefeste, die sogenannte „kleine Kirchweih" und die „Nachkirchweih"
wieder die gewohnte weitere Umrahmung geben. Zur rechten Kirmes gehört ebenfalls
wieder ein für diese Zeit charakteristisches Hausgebäck: der Kirchweihkuchen, der in dem
im Eger- und Elbegebiete üblichen sogenannten „Schiwagga"-Kuchen, einem großen, in
fünf bis sieben Streifen mit verschiedenem leckerem Aufputz versehenen, also Alles in sich
vereinigenden Haupt- und Gefammtknchen seine höchste Stufe erreicht. Nebst reicherem
Fleischgenuß, dem Kuchenschmaus und ausgiebigem Trunk würzigen Hopfenbiers, das
besonders im Hopfen- und malzberühmten Eger- und Elbegebiete meist gut und billig zu
haben war, bildeten den Hauptreiz einer jeden Kirchweih bis heute Musik und Tanz. Die
fruchtbaren, mit wohlhabenden Dörfern reichgesegneten Fluren an der Eger und Elbe
waren vor Jahrzehnten noch berühmt durch ihre Kirchen- und Kirchweihfeste, bei welchen
es gar stattlich und fröhlich herging, die Banknoten und Thaler flogen und oft mehr als
ein Paar Schuhe von den Bauernmädchen in zwei bis drei Tagen durchgetanzt wurden.
Im Mittel-Egergebiete, insbesondere im Aubachthale, wurde damals auch noch die poetische
„Goldstunde" hochgehalten.
Am Kirchmeßsonntag nach dem Kirchengang kam vor Allem die Jugend im
ansehnlichsten Wirthshaus für eine Stunde zu einem Vormittagstanz zusammen, der
die „Goldstunde" hieß. Hier trafen Burschen und Mädchen meist ihre Herzenswahl und
manche schlanke, lebensfrische Bauerstochter vom schwarzen oder rothen Boden kam dann
im nächsten Fasching bereits unter die ersehnte „Goldhaube". Sonntag Nachmittags
beginnt in der Regel noch heute der Kirchweihtanz. Fast jeder Bursche oder Bauer, der es
haben konnte, schaffte sich sonst seinen „Reiher" (Reigen) an, um mit seiner Erwählten
oder Eheliebsten einen „Vorreiher" zu tanzen. Musik, Tanz und Lustbarkeit dauern meist
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch