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D a s Adam- und Evaspiel. Ein Grnndzng im Charakter des Volkes ist
frommer gläubiger Sinn. Die Lehren der Religion wie die Geschichten und Personen
der Bibel haften tief im Gemüth des Volkes und geben der Einbildnngskraft desselben
Stoff und Anlaß zur Schaffung von Gebräuchen, die an die alten und von der Kirche
so begünstigten Volksschauspiele erinnern; einer dieser Bräuche, dessen Eigenartigkeit
in nachfolgendem „Adam- und Evafpiele" zur Anschauung kommt, sei hier vorgeführt
in treuer Wiedergabe, da ich ihn, von frühester Jugend an, oft im Elternhause zu sehen
Gelegenheit hatte — zum ersten Mal eines Morgens gegen Ostern hin bald nach der
Morgensnppe.
Der Vater saß am Ecktisch uud machte mit der Kreide seine Berechnungen auf der
großen Eichenplatte; die Mutter begann neben der Kammerthür ihre Vorbereitungen
für den Mittagstisch und ich (etwa fünf Jahre alt) war anf die Wandbank gestiegen, um
nach dem Hofraum zu blicken und zu sehen, was dort Anziehendes vor sich gehe — fiel
aber im nächsten Augenblicke vor Entsetzen fast von der Wandbank! Der leibhaftige
„Gottseibeiuns" mit Hörnern, schwarzem Gesicht, rothen Augen, war in den Hof getreten
und kam in Begleitung von zwei abenteuerlich costümirten Personen nach unserer Haus-
thür. Ich flüchtete zur Mutter, die am kleinen Ecktisch sich eben anschickte, einen Teig zu
kueteu, wickelte mich in ihre Schürze und rief, die Blicke angstvoll nach der Thüre gerichtet:
„Da Tuisl!" Die Mutter legte mir beschwichtigend die Hand auf den Kopf und erkundigte
sich nach der Ursache meines Schreckens, wurde aber alsbald durch die Ereiguisse selbst
belehrt, um was es sich handle. Die Thüre ging auf und herein trat eine der erwähnten
abenteuerlich gekleideten Gestalten; es war ein Mann in langem Hemd über dem Gewände,
einen Ledergurt um die Lenden, schwarzen Zottelbart um Kinn und Wangen, er trug einen
künstlich verfertigten Apfelbaum in der linken Hand; sogleich nach ihm trat die zweite
Gestalt herein, ein Weib, das ebenfalls über dem Gewände Hemd und Gürtel trug, das
Haupt aber mit einer Flachsperücke bedeckt hatte, deren Locken tief in den Nacken hinab-
fielen. Meine Mutter neigte sich jetzt zu mir, drückte ihre flache Hand an meine Wange
nnd sagte leise beschwichtigend: „Fürcht' dich nicht, es ist nur das Adam- uud Evaspiel!"
Maun und Weib stellten sich neben der Thür auf, deu Apfelbaum zwischen sich. Nun
begann der Erstere (Adam), indem er, singend wie im Recitativ, die Vorgeschichte des
ersten Sündenfalls erzählte, eine an der Rückseite des Baumes augebrachte Kurbel zu
drehen, die eine zwischen den Ästen hängende Schlange in Bewegung setzte; diese schoß
giftige Blicke, fuhr hin und her und stieß nnermüdet mit dem Kopf gegen einen Apfel,
als wolle sie sagen: „Der ist's, der wird dir's weisen!" Adam erinnerte an das Verbot
des Herrn und warnte vor dem Genuß des Apfels, Eva aber war schwach genug, das
Lob des schöueu Apfels zu singen und Adam zum Genuß desselben einzuladen. In einer Arie
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Band 14
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (1)
- Band
- 14
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1894
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.78 x 21.93 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch