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heldenmüthigen Kampfes auf dem Berge Höstyu (wo die Christen durch die wunderbare
Hilfe der Mutter Gottes dem Verderben entriuuen) den Gipfelpunkt des Gedichts bildet.
Die lyrisch-epischen Gedichte (Hirsch) und haben in Form
und Diction mit den epischen viele Ähnlichkeit, aber sie unterscheiden sich durch das Vor-
wiegen des lyrischen Elementes. Das erste ist der Ausdruck der Trauer über einen
meuchlings ermordeten Jüngling und das zweite schildert die Befreiung eines entführten
Mädchens aus der Macht eines rohen Gewaltthäters. In beiden kommt der Parallelismus,
dort mit einem Hirsch, hier mit einer Taube, in ausgiebiger Weise zur Anwendung. Die
lyrischen Gedichte (Sträußchen), (Erdbeeren), l iüöe (Rose),
,?s2l iul ice° (Knkuk), „Opus tönü" (Die Verlassene), , 3k r ivünek / (Lerche) sind
reizende Kleinigkeiten, die in echten, zarten Gefühlen die Sehnsucht, die Lust, die Klage
und das Leid eines jungen Mädchenherzens zum Ausdruck bringen.
Die Königinhofer Handschrift hat seit ihrem Erscheinen auf die böhmische Literatur
nachweisbaren Einfluß geübt, nicht minder hat sie so manche Schöpfungen der moderneu
Kunst in Böhmen — wir erinnern hier nur an den von Josef Manes ausgeführten Bilder-
cyklus — infpirirt.
Lange Zeit wnrde die Königinhofer Handschrift allgemein für das kostbarste
Denkmal der ursprünglichen altböhmischen Poesie, für eine eigene Blüte der heimischen,
noch intact erhaltenen Cultur angesehen. Aber die neuere Forschung fing an diesen
Glauben zu untergraben, indem sie darauf aufmerksam machte, daß, so wie Libusa's
Gericht, auch die Königinhofer Handschrift in der gleichzeitigen poetischen Productiou
kein Analogon finde, daß sich darin so mancher sachliche Widerspruch zeige, uud schließlich,
was der wesentlichste Einwand ist, daß der sprachliche Ausdruck häufig von der Regel-
mäßigkeit, die man sonst in anderen altböhmischen poetischen und prosaischen Prodncten,
so weit sie uns nämlich bekannt sind, bemerkt, abweiche. Die Controverse ist noch
nicht entschieden.
Zusammenhängende Reihen in ihrer Echtheit unanfechtbarer altböhmischer Denk-
mäler, die nach Inhalt und Form das Zeichen der vorwiegenden Zeitrichtnng an sich
tragen, fangen erst in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts an. Sie haben zumeist
einen poetischen Charakter und bewahren ihn bis ans Ende dieser Phase, das ist bis in
die ersten Jahre des XV. Jahrhunderts. Die Hauptquelle, aus der diese Production die
Veranlassung zu ihrer Entstehung und stetiger Erneuerung nimmt, ist die westeuropäische
Sitte und Cultur. Die unter solchen Verhältnissen entstandenen literarischen Prodncte sind
die natürliche Folge eines Nachahmungsstrebens, das bald mehr, bald weniger zum
Vorschein kommt; die Poesie ist von diesem Streben beinahe ganz beherrscht und durch
ihre Vermittlung auch ein Theil des prosaischen Schriftthums. Einen nationalen Zug hat
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch