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gleichnamigen deutschen, jetzt verschollenen Gedichts des Eilhard von Oberge, während
der zweite einem jüngeren Verfasser, der in der Arbeit seines Vorgängers namentlich
nach Gottfried von Straßburg und Heinrich von Freiberg ziemlich geschickt fortfuhr,
angehört. Tandariäs ist eine freie Bearbeitung von Pleiers „Tandarois und Flordibel"
(XIII. Jahrhundert); im Gegensatz zu dem weitschweifigen Original zeigt sich in ihm das
löbliche Streben nach Kürze und infolge dessen nach einer gewissen Selbständigkeit. Seiner
Entstehung nach stammt es aus dem Ende des XIV. Jahrhnnderts.
Neben der Sage und den erdichteten Stoffen beeinflußte der Nomantismns auch
ein anderes Gebiet des einheimischen Schriftthums nachdrücklich und durchgreifend. Wir
meinen die böhmische Geschichte, welche im ersten Viertel des XIV. Jahrhunderts ein
unbekannter, gemeiniglich Dal imi l genannter Schriftsteller in einer Reimchronik
bearbeitete. Er beginnt mit der Urzeit und schreitet rasch vor bis zum Jahre 1318; mit
Vorliebe schildert er Sagen, Heldenthaten und denkwürdige Begebenheiten, besonders
solche, die zur Verherrlichung des böhmischen Namens wesentlich beitrugen, nicht selten
gibt er aber anch in trockenen Worten nur ein Skelet der Handlung. Der Einfluß des
Romautismus zeigt sich bei ihm vorzugsweise im stürmischen Patriotismus, ja mitunter
in überspannter patriotischer Gesinnung. Das ganze Werk wurde schon zur Zeit Johanns
von Luxemburg in gereimten Versen ins Deutsche übersetzt. Die Richtung, welche der
Urheber der Dalimil'schen Chronik eingeschlagen hatte, wurde mehrfach nachgeahmt und
veranlaßte neue Gedichte über einheimische Begebenheiten. Gelungenere Versuche dieser
Art sind in einzelnen gleichzeitigen historischen Liedern erhalten; geringen Werth haben
die eigentlichen Reimchroniken, von denen einzelne Proben bis zum Schluß des XV, Jahr-
hunderts vorkommen.
Mit dem romantischen Element in der böhmischen Poesie wetteifert gleich im Anfang
die didaktische Tendenz und nimmt im Laufe des XIV. Jahrhunderts so überhand,
daß sie den Verfassern zum Hauptziel wird. Gern geschieht dies in Form der Fabel, bei
der die Handlung oder in einer besonderen Art des Physiologus, bei dem die Erklärung
vorwiegt. Nicht selten verliert sich die Lehre in abstractem Nebel; häufig werden auch
warnende Beispiele gewählt, um die menschlichen Untugenden lächerlich zu machen.
Der mnthmaßliche Bestand zahlreicher Fabeln wurde erst im Jahre 1887 nach-
gewiesen, als man einen gereimten Aesopns (3242 Verse) oder 60 Fabeln aus der
Sammlung des Romulus in einer Handschrift entdeckte. Die Bearbeitung reicht in die
erste Hälfte des XIV. Jahrhunderts uud ist für die böhmische Literatur von ähnlicher
Bedeutung wie für die deutsche der gleichzeitige Edelstein Boners. Nicht minder denk-
würdig, aber origineller ist das durch theilweise Nachahmung mittelalterlicher Physiologe
entstandene allegorisch-didaktische Gedicht ,^ 'ovä klaäa« (Der ncue Rath), welches im
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch