Seite - 156 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Böhmen (2), Band 15
Bild der Seite - 156 -
Text der Seite - 156 -
156
uild manche schwermüthige Klage um vergangene Herrlichkeit mahnt an die bestimmenden
Eindrücke seiner Jugend. Aus derselben Quelle schöpfte Herloßsohu, der sich aus düsteren
Verhältnissen emporgearbeitet hatte, Motive, Züge und Gestalten für seine vielgelesenen
phantastischen Romane, in denen die Taboriten eine bedeutende Rolle spielen. Der Drama-
tiker I. Lederer, der mit scharfem Witz begabt war, entnahm seine Gestalten aus der
Gesellschaft; seine Lnstspiele „Geistige Liebe" und „Kranke Doctoren" gehören zu den ersten
gelungenen Versuchen ans dem Gebiete der fein gestimmten Charakterkomödie. Über die
Jugeud war ein Rausch des Singens und Sagens gekommen und Manche, die freudig mit
einstimmten, sind der Poesie treu geblieben, wie Freiherr von Marsaud, Victor von
Hansgirg , Karl von Margelik, v. Proschko, Tandler n. a. An die Poeten schlössen
sich die Männer an, denen die Kunstphilosophie, die publizistische Kritik und journalistische
Belebung des deutschen Schriftthums zum Beruf werden sollte. Robert Zimmermann
— heute als Philosoph weithin gekannt — trat mit frischen Weisen von volksthümlicher
Färbung, Joses Bayer, der die Bestimmung zum feinsinnigen Ästhetiker und Kunstforscher
in sich trug, mit gedankenschweren Gedichten hervor. Auch die geistvollen Parlamentarier
Löhner und Knranda, welche die Feder meisterhaft führten, der kenntnißreiche und
gewissenhafte Franz Klntschak, der das Ansehen der „Bohemia" begründete und dem der
scharfsinnige Kunstkenner Bernhard Gntt zur Seite stand, der talentvolle, feurige David
Kuh, der den Ton politischen Ernstes für die Publizistik angab, der rührige Ferdinand
Stamm, der sich erst in Dramen und Novellen versuchte und dann in Wort und Schrift
erfolgreich für die Volksbildung wirkte, gingen aus der geistigen Bewegung hervor, die in
„Ost und West" ihren ersten bedeutenden Ausdruck fand.
Während die meisten der Genannten sich in der Centrale znsammenschaarten,
gingen andere schaffenskräftige Geister seitab von dem geräuschvollen Treiben ihren Weg
zur stillen Höhe. In den dunklen Wäldern Südböhmens, in den Stadtvierteln der
Gedrückten, in den rauhen Thälern des Adlergebirges wuchsen die Männer heran, welche
die leiseren Athemzüge der Heimat belauschten und „die Einkehr in das Volksthum", die
im ganzen Gebiete deutscher Zunge ungeahnte Schätze ans Licht zog, sür Böhmen
verwirklichten. Ein Name von sanftem, rührendem Glänze ist dieser volkstümlichen
Renaissance an die Stirne geschrieben: der Name Adalbert St i f ter . Der Leinweberssohn
aus Oberplan hat sich in das goldene Buch der deutschen Literatur eingetragen und die
Verborgenheit des Böhmerwaldes, aus dem er stammte, ist durch ihn zu einem Paradies
geworden, an dem sich unzählige Herzen erhoben nnd erquickten. Die dreiundsechzig
Jahre seines Lebens — 1805 bis 1868 — flössen ohne starke äußere Bewegung dahin,
wie die Wellen eines Waldbachs, der die reinsten Quellen dem großen Strome entgegen-
führt. Von den Tagen, da er in seinem weltentlegenen Geburtsstädtchen zur Schule ging,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch