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bis zu der Zeit, in der er — dein Zuge des Herzeus folgend — die Volksschule» in Ober-
österreich überwachte, blieb er dem lauten Gewühl und heftigen Kämpfen fern. Desto
größer war der innere Reichthum seines Lebens. Ihm haben die heimischen Forste ihr
Geheimstes anvertraut, und was er davon mittheilte, wurde zu einer feierlichen Offenbarung
des beglückten Daseins in nnd mit der Natur. Wie Jean Paul hat er in seinem Leben nur
selten einen Vers geschrieben. Dennoch war er ein Dichter von der innersten Empfindung
bis iu den zartesten Hauch des Wortes hinein. Als in den Vierziger- und Fünfziger-Jahren
die ersten seiner Meisterskizzen und Novellen in Zeitschriften erschiene«, geuoß man mit
Andacht und Staunen den Einblick in eine neue Welt, die scheinbar aus der Alltäglichkeit
emporstieg.
Die Überraschung war jener ähnlich, die Stifter in seinem „Abdias" so herrlich
darstellt: den Empfindungen der von Blindheit Geheilten, in deren Auge das Licht
einströmt. Weuige Poeten haben so gesehen, so sehen gelehrt, wie der Sohn des böhmischen
Hochwaldes. Die Naturpoesie der zeitgenössischen Nomautiker hatte umflorte Angen und
wob einen märchenhaften Schleier nm die alltäglichen Wnnder. Stifter betrachtete mit
Hellem, klarem Blick das alltägliche wundervolle Werden und Bergehen. Er war weit
entfernt davon, eine zweite Welt willkürlich-phantastisch ans der vorhandenen hervor-
znlocken, er versenkte sich mit hehrer Einfalt in die bestehende, in das aufgeschlagene Buch
der Natnr, und über Allem, was er darin gelesen, liegt der Geist der Sammlnng, der
erhebenden „Audacht zum Kleineu". In dieser liebevollen Gegenständlichkeit, die das
zarteste Blühen nnd das leiseste Rauschen wahrnimmt und die Alles, was in der Stille
wird und wächst, vertraulich beim rechten Namen ueuut, wurde der naturfromme Idealist
zum Meister aller Landschafter unter den modernen Realisten der Novelle. Die Gestalten,
die er in seine mit der Natnr wetteifernden Landschaften versetzt, sind freilich mehr in ihren
zarten Empfindungen, als, wie es heute üblich geworden, iu deu Schärfe» der Physiognomie
nnd i» de» sinnlichen Jmpnlfen charakterifirt; sie haben alle, ob sie der Gegenwart oder
der Vorzeit angehören, einen Zug von seinem eigenen feierlich aufhorchenden Wesen,
von seiner milden Beschaulichkeit, aber es beglückt, mit ihnen zu verkehren und aus der
Nüchternheit der treibeudeu Interessen in ihre Welt der stillen Erbauuug zu flüchten. In
den ragenden Plöckenstein hat der dankbare Böhmerwald den Namen seines Dichters ein-
gegraben nnd über den böhmischen Grenzwall leuchtet er weit iu die deutschen Lande hinaus.
Feinfühlig uud scharfsichtig für die Reize der heimischen Natur ist auch Josef
Rank, der zweite Dichter des Böhmerwaldes, der aus der Berührung mit dem vater-
ländischen Boden seine besten Kräfte schöpfte. Aber ihm war die Landschaft doch mehr
Hintergrund für die Gestalten nnd sein Hauptaugenmerk war auf Sitte uud Sprache,
auf Denk- nnd Gefühlsweise des Landvolkes gerichtet. Mit Anerbach hat er den Siuu für
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch