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Die einzelnen Töne der architektonischen Seala: der Sockel, die Säulen mit ihren Basen
und Capitalen, die durch Rundbogenfries verbundenen Lisenen sammt dem darüber
angebrachten keilförmigen Zahnschnitt und dem Gesimse, die Fenster und die Portale
entfalten sich von den einfachsten zu den reichsten und mannigfaltigsten Formen, aus
denen der gesammte Entwicklungsgang der böhmischen Architektur als eine versteinerte
Symphonie entgegentönt. Die geistreiche Phantasie der romanischen Baumeister des
XII. Jahrhunderts ist insbesondere an den Portalen von ganz kleinen Kirchen ausgeprägt.
Das einfache, durch ein bloßes Tympanonkreuz bezeichnete Portal in Muglitz und jenes
mit verschwenderischer Pracht und staunenswerther Technik geschmückte Portal in Söberle,
sie sind die beiden Pole dieser interessanten Kette. Eine gleich reiche Entwicklung ist an
den Säulen sammt ihren Basen und Eapitälen wahrzunehmen. Die anfangs plumpen
Eckknollen der meist attischen Basis verwandeln sich im Laufe der Zeit in feingeformte
Blätter, Muscheln und Frösche; der Schaft ist rund und polygonal, caunelirt und gewunden,
glatt und oruameutirt, aus mehreren Stäben zusammengesetzt und geflochten; das älteste
Würseleapitäl ist entweder glatt oder nur mit einer halbkreisförmigen Füllung umschlossen,
später aber mit stilisirtem Blattwerk mannigfaltigst bedeckt, auch durch fculpirte, der
Thierwelt entlehnte Decorationen verziert. Die früher nur einfach abgeschrägten Fenster-
leibnngen wurden nun durch Rundstäbe und Hohlkehlen reich profilirt. Die schmucklosen
Außenwände des Schiffs und der Apsis wurden durch Lisenen, zu Ende der Periode sogar
durch Blendarkaden gegliedert und belebt. Ein frischer Geist voller Anmuth pulsirt durch
den gesammteu Organismus der Gebäude, deren Grundrißbildung mit Ausschluß der
Rotunde sich in den Hanptformen der ersten Periode bewegt. Die Kirchen sind dnrchwegs
einschiffige, in geringen Dimensionen angelegte, gegen Osten mit einer halbrunden Apsis
oder einem quadratischen, zuweilen auch mit einem polygonalen Chore schließende
Gebäude, denen an der Westfa^ade ein rechteckiger Thurm vorgelegt ist, der sich ent-
weder über die ganze Schiffsbreite, wie in Kyje und an der nur theilweise erhaltenen
St. Ägidiuskirche in Mühlhausen erstreckt, oder aber auf einem engeren quadratisch
angelegten Grundriß, wie bei den Kirchen in Planan, Müglitz, Liebshausen und Rudig,
au das Schiff angeschlossen ist. Die durch reiche Architektur ausgestattete» Kirchen zu
Potvorov und Rudig entbehren aber einer Thnrmaulage. Bei der meisterhaft disponirten
Kirche zu Söberle dagegen steigt der auf vier freistehenden Säulen rnhende Thurm aus
der Mitte des quadratischen Schiffraumes empor. Die S t . Galluskirche in Por i c i
und die St. Bartholomäuskirche in Kondrae sind aber bei einschiffiger Anlage durch
je zwei Thü rme ausgezeichnet; bei jener mit einer zierlichen Krypta ausgestatteten
Kirche flankiren die beiden quadratischen Thürme die Schiffseiten, bei dieser ist die
Westsronte durch' zwei runde Thürme geziert, welche mit ihren ringsum in zwei
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch