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Architektur der Renaissance- und Neuzeit.
Mit Widerstreben räumt in der Architektur Böhmens die Gothik der Renaissance
das Feld. Während sich die letztere in Italien schon zu voller Pracht entfaltet hat, sammelt
der gothische Stil in Böhmen seine Kräfte, nm noch in der letzten Phase seiner Entwicklung
Bedeutendes hervorzubringen. Die letzte Blüte des gothischen Stils ist hier innig ver-
knüpft mit dem Namen des königlichen Baumeisters Benedict Rieth (Reta) von Piesting
(Pistov), welcher als einer der letzten hervorragenden Gothiker auftritt. Uud doch kouute
sich selbst dieser aus der gothischen Bauhütte hervorgegangene Meister des Einflusses der
neuen „wälscheu Kunst" nicht ermehren, auch er fühlte sich verführt, zu den neuen Formen
zn greifen. Er that dies bei dem Bau des Wladislaw'fchen Flügels der königlichen Burg
zu Prag. Der Umstand, daß an einem profanen Bau der neue Stil zuerst Anwendung
fand, ist für seine Stellung in Böhmen bezeichnend; auch späterhin sind es nur profane
Bauten, bei welchen die Renaissance vollständige Aufnahme findet, während bei dem Bau
uud Weiterbau von Kirchen und Kapellen der gothische Stil sich nahezu durch das gauze
XVI. Jahrhundert in seinem alten Rechte zu behaupten weiß.
Bei dem Wladislaw'schen Saalbau kommt der Renaissancestil nur rein äußerlich
zum Vorschein, ohne die Constrnction zu berühren: im Innern insbesondere an der
zur Allerheiligenkirche führenden Wandseite, wobei jedoch zu bemerken ist, daß die in der
Mitte eingestellte Thür bedeutend später ist uud bereits dem Beginn des XVII. Jahr-
hunderts angehört. Am Außenbau siud es die au beiden Längsseiten paarweise grnppirten
viereckigen Fenster, welche Renaissanceformen aufweisen. Eines derselben, durch deu
späteren Zubau verdeckt, trägt die Inschrift: ,^VIa<Zislaus rex et Lokeinik 149.'!".
Nachdem das Saalgebäude im Jahre 1502 durch Meister Benedict vollendet
worden, wurde an den mit ihm zusammenhängenden Bautheilen noch weiter gearbeitet, und
zwar sowohl zu Lebzeiten Wladislaws als auch uach dessen im Jahre 1516 erfolgten Tode
nnter seinem Sohne nnd Nachfolger Ludwig. Dieser Zeit, zu welcher immer noch Meister
Benedict den königlichen Schloßbanten vorstand, entstammt der an der Südseite in den
ehemaligen Schloßgraben auslaufende, durch den Fenstersturz des Jahres 1618 berühmt
gewordene Tract. Als jener Raum, in welchem sich die geschichtliche Scene abspielte, wird
von neueren Localsorschern, der alten Tradition entgegen, die geräumige Stube des ersten
Stockwerkes angesehen. Wenn dies auch nicht der Fall wäre, bietet dieser gewöhnlich dem
Besucher verschlossene Raum ein Interesse für die Baugeschichte, indem er sich durch eiu
zierliches Renaissanceportal auszeichnet. Der an demselben angebrachte, zwischen zwei
Greifenfiguren gestellte Anfangsbuchstabe I. verewigt den Namen des königlichen Bau-
herrn. Die Pilaster und die Säulen, welche hier uud am Wladislawsaale vorkommen,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch