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bis gegen Trautenau im Osten reichend, in seiner Gesammtheit vom Kaiser erst (1624)
zum Fürstenthum, dann (1627) zum Herzogthum erhoben. Mit demselben bewunderungs-
würdigen Organisationstalent, mit welchem Wallenstein wiederholt neue große Armeen
ins Feld stellte, verstand er es, die rasch erworbenen verschiedenen Güter in ein einheitliches,
wohl administrirtes, wirthschaftlich blühendes Ganze zusammenzufassen und zu halten
und so innerhalb des übrigen darniederliegenden, verkümmerten Landes ein Gebiet
zu schaffen, das seine Zeitgenossen entgegen der „l^erra 6eseilst Böhmen nicht ohne
Neid die „l'erra kelix" zu nennen pflegten. Die Residenz Gitschin (-licin), mit Pracht-
bauten geschmückt, wurde der Mittelpunkt eines unglaublich reichen, lebhaften Verkehrs.
Nach Wallensteins Ermordung siel wie mit einem Schlage das von ihm aufgerichtete
stolze Gebäude zusammen, seine Besitzungen wurden zersplittert, sie hatten künftig die
Schicksale des übrigen Böhmen zu theilen. Nichtsdestoweniger haben sich bis zur
Gegenwart die Spuren und nicht blos Spuren jener segensreichen volkswirthschastlichen
Thätigkeit des Friedländers erhalten. Und diese Thätigkeit bildet allerdings einen der
triftigsten Erklärungsgründe für die mannigfachen Besonderheiten, welche späterhin, trotz
allem Wandel der Verhältnisse, speciell dem böhmischen Norden ein gewerbliches,
industrielles Gepräge aufdrückten — ein Gepräge, das durch die Unbilden der folgenden
Jahrzehnte zeitweilig zwar wieder verwischt, doch nie mehr ganz hinweggetilgt werden
konnte. Als aber endlich — endlich über der weiten, vielgeprüften böhmischen Erde
die Sonne glücklicherer Zeiten wieder aufging und der Segen einer an wahrer, tiefer
staatswirthschaftlicher Einsicht gereiften landesväterlichen Fürsorge in reichen Strömen
sich darüber ausgoß: mit welchen vollen, gierigen Zügen sog da vor Allem jener vormals
fleißig, ja mühselig gepflegte und gelockerte und dadurch erst empfänglich gewordene
nordböhmische Boden diese Sonnenstrahlen und Regengüsse in sich auf, um sie gar bald
mit tausendfältiger Frucht zu lohnen!
Von Kaiser Ferdinand II. als König von Böhmen haben sich Regierungsacte
gewerbe-politischer Natur verschwindend wenige erhalten. Und diese wenigen beschränken
sich fast alle auf die Bestätigung von Zunftordnungen früherer Zeit. Durch nichts unter-
scheiden sich derartige Cousirmationen von den vorhergegangenen, es wäre denn, daß
sie das ursprüngliche kirchliche, das consessionelle Moment der allerersten gewerblichen
Bruderschaften wieder mehr, und zwar, wie sich von selbst versteht, im streng katholischen
Sinn in den Vordergrund rückten. Von nun an lautete der erste Artikel jeder neuen oder
revidirten Zunftordnung ungefähr dahin: „Wer allhier Meister werden will, der soll und
darf keiner anderen als der alleinseligmachenden katholischen Religion zngethan sein."
Damit war in dem kurz vorher überwiegend protestantischen Böhmen die Mehrzahl
der Bewohner vom Gewerbe ausgeschlossen oder zum Confessionswechsel gezwungen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Band 15
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Böhmen (2)
- Band
- 15
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.07 x 22.35 cm
- Seiten
- 708
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch