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er schafft einen vollkommenen Reichthum, in dem es nichts Überflüssiges gibt. Ein großer,
mit der feinsten Empfindung begabter Künstler, dessen Name leider verschollen ist und
von dem man nur vermuthen kann, daß er sich an der französischen Baukunst genährt hat,
wühlt hier mit voller Hingebung und dennoch mit Besonnenheit in der Mannigfaltigkeit der
Formen und genießt mit BewnDsein die Freude des Hervorbriugens. Im Schaffen selbst
steigert sich seine Schaffenskraft. Gewiß hat der Bau in weniger gebräuchlicher Weise mit
der Hauptfa^ade begonnen. Die beiden gedrungenen quadratischen Thürme und die zwischen
ihnen aufragende Giebelwand sind noch einfach; indem sie sich auf den herkömmlichen
Rundbogenfries und die durch Säulen getheilten Doppelfenster beschränken, wirken sie
mehr durch ihre Masse. Im Obergeschoß der Thürme jedoch, wo die Wand von einem
reicher gebildeten Rundfenster durchbrochen ist, meldet sich plötzlich ein Künstler, der den
Reichthum der gothischen Baukunst kennt und sich zu dem Unternehmen anschickt, in dieser
Gegend, wo die Gothik noch fremd ist, innerhalb der romanischen und Übergangsformen
einen nicht minderen Reichthum hervorzuzaubern.
Zwischen den Thürmen, am Fuße der Fa^ade und aus ihr hervorspringend erhebt
sich gleichsam als Gebilde für sich eine Giebelwand. Ihr Zweck ist, den Werth des Thores
zu steigern. Hier läßt der Meister in gewaltigen Aceorden den ganzen Chorus der Formen
erklingen. Im Giebelfeld über dem Portal stehen in Nischen, die mit Säulen und einem
runden Dreiblattbogen eingefaßt sind, die Gestalten Christi und der Apostel, die den
Nahenden sofort zur Andacht anregen. Unterhalb und seitwärts in Nischen, die ans den
Wänden der Thürme ausgespart find, deuten symbolische Thierfiguren die Ahnungen der
gläubigen Seele an. Die Thoröffnung hat am Saume einen mit fester Hand gemeißelten
Mäander; diesem folgt nach innen ein in die Wand eingemeißelter Zahnschnitt und diesem
ein zweiter, der, eben nur die Wandfläche streifend, beiderseits mit leichtem Schwung zu der
stumpfen Spitze emporgleitet. Das erste Säulenpaar der Leibung hat verzierte Schäfte und
steht auf den Rücken von hungrigen beutesuchenden Löwen, dem Sinnbilde des Teufels.
Dahinter folgen je ein glatter und hierauf wieder je vier verzierte Säulenschäfte. Ebenso
mannigfaltig gliedert sich das Gewölbe der Oeffnnng, nach außen mit drei Spitzbogen, nach
innen mit drei Rundbogen. Zu innerst im Bogenfeld über dem geradlinigen Thürsturz staud
einst Christus, der segnend die Rechte erhob, in der von zwei Engeln gehaltenen Mandorla.
An den beiden Langseiten haben die über die steilen Halbdächer der Seitenschiffe
nur wenig emporragenden Wände ein sägesörmiges Gesimse und darunter einen lebendig
profilirten mächtigen Rundbogenfries, während unter dem gleichfalls sägesörmigen Gesimse
der Seitenschiffe ein Fries von Dreiblattbogen entlang läuft und Säulenschäfte, sowie
ab und zu in kleinen Nischen untergebrachte figürliche Darstellungen die Eintönigkeit der
Wandfläche unterbrechen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Band 16
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (4)
- Band
- 16
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.18 x 21.71 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch