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Hauptschmuck des Äußeren, dem vor der Nordseite aufragenden, etwa 43 Meter hohen
schlanken Thurm, der vermöge der richtigen Gliederung und edlen Einfachheit des Aufbaues
eine so hervorragende Schöpfung ist, daß kein anderer gothischer Thurm im Lande sich
mit ihm messen kann. Die Bildung seiner Details, das unter ihm sich öffnende Haupt-
portal, das Rundfenster des zweiten Geschoßes, die Fenster der folgenden achteckigen
Geschoße, besonders des oberen, mit den sie überragenden glattkantigen Giebeln, endlich
der steinerne Helm, das Alles ist gleichzeitig, trägt einen einheitlichen Kunstcharakter und
stimmt in Allem mit dem Inneren der Kirche überein. Das Gemälde im Bogenfeld des
Portals stellt die die Gläubigen unter ihren Schutz nehmende Mutter Gottes dar.
Der hallenartige Ausbau der Schiffe und die schiefgestellten Fensterbänke weisen
zwar auf die deutsche Schule hin, aber dessenungeachtet wird, was schon die Säulen im
großartig wirkenden Inneren der St. Michaelskirche ahnen ließen, daß nämlich in dieser
von Deutschen bewohnten Stadt am Ende des XIII. Jahrhunderts Baumeister im Sinne
der französischen Schule thätig waren, durch die Benediktinerkirche fast zur Sicherheit,
da die einfache und klare Formenfprache der Gliederung, welche die Anlage des Baues
erkennen läßt, sie zu einer charakteristischen Vertreterin der frühgothischen Baukunst
Frankreichs macht. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Ödenbnrg von der Festung Ofen,
in deren gothischer Baukunst von Anfang an die deutsche Schule geherrscht hat.
Nach etwa 200 Jahren wurden aus unbekannten Gründen das Gewölbe und der
Orgelchor der Schiffe neu hergestellt. Aus dieser Zeit stammt auch das an einem der
Wandpfeiler angebrachte Tabernakel, das auf einem unten umlaufenden Spruchbande
die Jahreszahl 1491 aufweist. Ihre Formen, besonders aber die Profile der Rippen
und Gurten des Gewölbes weisen entschieden in spätgothische Zeit. Damals wurden
die vier Säulen der Schiffe ihrer Capitäle beraubt und diese durch acht kleine, ringsum
aus dem Schaft vorspringende Kragsteine ersetzt, deren jeder aus einer eckigen Deckplatte,
darunter einem Bund von Blättern und unter diesem noch einem Menschenkops zusammen-
gesetzt ist. Das Verhältniß der Kragsteine ist nicht das richtige, ihre Form verbindet
in plumper Weise die Säulen mit den Gurten; sie erregen nicht das Gefühl, daß
das Gewölbe auf den Säulen sicher ruht.
Was der von der Sage erwähnte große Schatz ausdrücken will, darin liegt es
begründet, daß die Kirche so vielen Unbilden zu trotzen vermochte; sie ist wohl beschädigt,
hat aber ihr Wesen bewahrt. Auch schöne Tage hat sie gesehen, z. B. im XVII. Jahr-
hundert, als drei Königinnen, die Gemalinnen Ferdinands II. und III. und Leopolds I.
in ihr gekrönt wurden. Inzwischen brannte sie nieder, stand auch zeitweise verlassen; dann
wieder diente sie als Archiv und Sitzungssaal; die Westfa^ade und Südseite verloren
völlig ihre Form; schließlich wurde sie mit einer hölzernen Kanzel und ebensolchen Altären
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Band 16
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (4)
- Band
- 16
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.18 x 21.71 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch