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Weit vermag er sich von der Scholle, die ihn geboren, nicht zu entfernen. In der ungarischen
Gegend hat er sich schon vorlängst gern angesiedelt. Ein Überbleibsel des patriarchalischen
Lebens ist die Sitte, daß, wer ein Strohdach zu machen hat, dies einfach im Dorfe ans-
rnsen läßt. Darauf legt jeder Hausbesitzer eiueu Buud Stroh vor das Haus und der
Dachbedürftige trägt Alles heim. Ein andermal kommt ein Anderer in die Lage, Aller
Hilfe in Anspruch zu uehmeu.
Bei Kindstaufen pflegte sonst auch der Wende gern ein Fest zu feiern, jetzt geht es
dabei einfacher her. Der alte Volksglaube spielt dabei eine große Rolle. Schon nach der
Trauung, bevor noch die Braut das Haus betritt, nimmt ihre Mutter oder eine andere
Frau ein Ei uud einen Knäuel Zwirn in die Hand. Bei dem Vorhause läßt sie den Kuäuel
vor die Braut hiurolleu und legt das Ei auf den Boden. Die Braut tritt mit dem rechten
Fnße auf das Ei und zerbricht es; so leicht sie es zerbrochen hat, so leicht wird sie gebären.
In der Wohnstube setzt man etwas Brot uud Wein auf den Tisch. Der Tisch darf nicht
leer stehen, damit dem erwarteten Kinde nichts Böses aukomme. Ist das Kiud erschienen,
so wird es häufig iu eiu Kissen gewickelt unter den Tisch gelegt, damit es fett werde. Mit der
Taufe beeilt man sich nur, wenn das Kind kränklich ist, damit es im Todesfalle nicht um
die Seligkeit komme; ist es aber gesund, so wird die Wiedergenesung der Mutter abgewartet,
damit anch sie am Taufmahle (krstitje) theilnehmen könne.
Der Tod, der Übergang ins Jenseits, bietet dem Aberglauben noch reichlicheren
Stoff. Stirbt der Hausherr oder die Haussran, so läuft, wenn die Leiche aus der Stube
getragen wird, eines der Hansleute hinaus, um das Vieh aus dem Stalle zu lassen und
das für die Aussaat aufgehobene Getreide in der Kammer umzurühren; davon soll das
Vieh gesuud bleiben und die Ernte reichlich werden. Nach der Heimkehr vom Begräbnis;
eilen die daheim verbliebenen Hansleute aus dem Hause, um die Ersten zu sei«, welche
die Heimkehrenden erblicken; im entgegengesetzten Falle würden sie fürchten, von dem
Todten heimgesucht zu werden. Die Träger der Leiche waschen sich iu einem Topf die
Hände und trocknen sie mit einem weißen Tuch; der Topf wird dann durch den Todten-
gräber an das Hans geworfen. Von dem Fnhrwerk, das die Leiche getragen, werden die
Räder abgenommen nnd drei Tage lang im Sterbehause gelassen, aber auch nachher nur
verstohlen heimgeholt. Das Todtenmahl ist nur uoch wenig gebräuchlich, wohl aber die
Nachtwache bei älteren Todten, wobei auch gegesseu uud getrunken und die Zeit durch
eigens für solche» Aulaß bestimmte Lieder gekürzt wird. An manchen Orten kaufen sich
die Weudeu das als Grabtuch verwendete dunkle Tuch schon bei ihren Lebzeiten selbst.
Nach dem Begräbniß, besonders bei den Bergbewohnern, stellt sich die wendische Witwe
drei oder vier Tage lang morgens und abends vor das Haus uud beweint ihren todten
Gatten angesichts der ganzen Gemeinde.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Band 16
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (4)
- Band
- 16
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1896
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.18 x 21.71 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch