Seite - 468 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Mähren und Schlesien, Band 17
Bild der Seite - 468 -
Text der Seite - 468 -
468
Die Entwicklung der mährischen Wollwaarenerzeugung zur Fabriksindustrie
ist ans die Initiative der österreichischen Regierung in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts zurückzuführen. Das Problem der Schaffung einer nationalen Industrie
beschäftigte in der Epoche des aufgeklärten Absolutismus die führenden Geister. Wenn
auch die zur Erreichung dieses Zweckes angewandten Mittel sich znm Theile nicht bewährt
haben, so hat man doch im Großen und Ganzen den richtigen Weg eingeschlagen. Lebens-
volle Keime wurden gelegt, aus denen im Laufe einiger Jahrzehnte eine österreichische
Großindustrie sich entwickelt hat. Mit Recht bewahrt das Volk dem Leiter dieser
Wirthschaftspolitik, Kaiser Josef II. und seinen Berathern ein dankbares Andenken.
Die Mittel, welche gebraucht wurden, bestanden in der Errichtung von Staats-
fabriken, Snbventionirnng von Privatetablissements, zollpolitischen Maßregeln, Toleranz
der Akatholiken, Zulassung der Ausländer zur selbständigen Gewerbe-Ausübung unter
Garantie der Freizügigkeit, Gewährung von Recrntirnngsfreiheit an Arbeiter, Lockerung,
ja theilweise Aufhebung des Zunftzwanges n. f. w. So wurde im Jahre 1765 die erste
Tuchfabrik in Brünn von der Regierung gegründet. Ihre Verwaltung unterstand einer
Gesellschaft von Handelsleuten, welcher aus Staatsmitteln namhafte Summen zur
Verfügung gestellt wurden. Im Jahre 1780 ging ihre Leitung an Johann Leopold
von Köfiller (geboren zu Brünn 1743) über, der eine stattliche Anzahl reichsdentscher
Arbeitskräste nach Brünn zog, denen später noch andere folgten. Diese Männer sind als
die eigentlichen Schöpfer der Brünner Wollindustrie zu betrachten. Einige wurden im
Laufe der Jahre Gründer selbständiger Unternehmungen, von denen einzelne noch heute
florireu. Die ersten Einwanderer waren fast ausschließlich Protestanten. Sie stifteten die
evangelische Kirchengemeinde in Brünn; ihr Pfarrer wurde „Pastor der Brünner feinen
Tnchfabriqne" genannt. Köfiller erbaute seinen Gehilsen 44 Arbeiterhäuser nach dem
Eottagesystem. Sie bestehen noch heute, wenn auch ohne die Gärtchen und ihrem
ursprünglichen Zweck entfremdet. Unsere Abbildung zeigt diese ersten Arbeiterhäuser
Brünns, zu denen die Schimitzer Eolonie „Friedrichsruhe" der Juvalideucassa der
Brüuuer Eisenarbeiter ein Gegenstück aus jüngster Zeit bildet.
Sowie in unseren Tagen Kaiser Franz Joseph I. durch wiederholte Besichtigung
industrieller Etablissements den mährischen Gewerbestand beglückt hat, so besuchte auch
Josef II. die Fabrik Köfillers persönlich. Er zeichnete dadurch die Industrie in ähnlicher
Weise aus, wie er den Ackerbau durch den Gang hinter dem Pfluge bei Slavikovitz
geehrt hat. Noch heute zeugt eine Gedenktafel an dem Hause, welches einstens die erste
Tuchfabrik Brünns beherbergte, von der Antheilnahme des edlen Kaisers an der
wirthschaftlichen Entwicklung seiner Völker. Die Inschrift lautet: „Dem Kenner und
Beförderer der Fabriken, Josef II., den 13. September 1781."
zurück zum
Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Mähren und Schlesien, Band 17"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Band 17
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Mähren und Schlesien
- Band
- 17
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1897
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.42 x 21.88 cm
- Seiten
- 750
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch