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aber auch dramatische Dichtungen in vollkommen ausgebildeten Formen. Eines der
vollständigsten geistliche!? Volksschauspiele ist das Obergrunder Weihnachtsspiel.
In der gesammten deutschen Literatur dürfte es unter den geistlichen Volksschauspielen
wenige geben, welche bei Wahrung des volksthümlichen Charakters einen solchen Reich-
thum an trefflich geordneten Scenen, an poetischem Gehalte und volksthümlichem Humor
besitzen wie dieses. Ein Manuskript desselben wurde in Obergrund am Althackelsberge
bei Zuckmautel, einem auf drei Seiten von hohen Bergen eingeschlossenen, in einer
schmalen Thalrinne gelegenen Dorfe gefunden, das von armen Bergleuten und armen
Bauern bewohnt ist. Dem Alter nach weist es bis ins XVI. Jabrhundert zurück. Noch
in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts wurde es vor versammelter Gemeinde in
Obergruud von Ortsbewohnern mehrmals, und zwar um Weihnachten aufgeführt. Die
Sprache ist zum Theile mundartlich, Prosa wechselt mit Vers. Das ganze Weihnachtsspiel
zerfällt in 13 Auftritte. Nach einer Symphonie und dem von einem Engel gesprochenen
Prolog wird im ersten Auftritt die Erschaffung der Welt unter Begleitung von Musik
vorgetragen; im zweiten folgt die Versuchung und der Sündenfall, im dritten die Ver-
stoßung der ersten Eltern ans dem Paradiese. Lucifer führt Gott dem Schöpfer den
Adam mit dem Ersuchen vor, er möge ihn mit seinen Nachkommen ebenso, wie ihm
selbst geschehen, auf ewig verstoßen. Die Gerechtigkeit nnd die Barmherzigkeit treten auf
und Plaidiren wechselseitig. Die Gerechtigkeit begehrt ewige Strafdaner, die Barmherzigkeit
nur zeitliche, schließlich bittet diese, Gott möge in seiner unendlichen Liebe Meuschennatnr
annehmen und in dieser die Strafe für die Menschen büßen. Da entscheidet Gott Vater
für Verstoßung des Menschenpaares aus dem Paradiese und für den Verlust der erblichen
Gerechtigkeit, verheißt aber die von der Barmherzigkeit vorgeschlagene Versöhnung durch
seinen Sohn. Mit der Menschwerdung Jesu beschäftigen sich die folgenden Auftritte. Einfach
in der scenischen Durchführung, aber mit kräftiger Betonung des Genrehaften gestaltet
sich das Spiel. Die realistischen Hirten sprechen die Volksmundart; an der Krippe des
Christkindleins jedoch reden sie hochdeutsch, nur verfallen sie zuweilen wieder in den Dialect,
so wenn sie ihre Gaben, darunter den echt schleichen Kümmelquark, darbieten. Den Schluß
bildet nicht wie in anderen Weihnachtsspielen die Begegnung Methusalems mit dem Tode
und des Greises frommes Ende, sondern hier trifft der Kindesmörder Herodes mit dem Tode
zusammen, von dem er auch „erschossen" wird. Das Spiel erinnert bereits an die Herodes-
oder Dreikönigsspiele, die nach dem Feste der heiligen drei Könige aufgeführt wurden.
Wie in Deutschland im Allgemeinen die Mysterien in Weihnachts- und Osterspiele
sich zweigten, so finden wir auch in unserem Schlesien Weihnachts- und Passionsspiele. An
einem Tage in der Osterwoche wurde in Zuckmantel in der zweiten Hälfte des XVIll. Jahr-
hunderts regelmäßig, am Anfang unseres Jahrhunderts nur noch bisweilen von Bewohnern
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Mähren und Schlesien, Band 17"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Band 17
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Mähren und Schlesien
- Band
- 17
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1897
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.42 x 21.88 cm
- Seiten
- 750
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch