Seite - 600 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Mähren und Schlesien, Band 17
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Ein in der Orlaner katholischen Kirche an der Mauer gegenüber dem Altar befind-
liches uraltes Gemälde, auf welchem ein Adler über einem Fürstenpaar schwebend eine
Hostie im Schnabel hält, veranschaulicht eine alte Volkssage: Einst jagte der schlesische
Herzog Miecislaus mit seiner Gemalin und einem großen Gefolge in den dichten
Wäldern, die sich dort, wo heute das Dorf Orlau steht, befanden, und lagerte sich endlich
auf einem Felsen. Dort erblickte er mit seinem Gefolge einen Adler von ungewöhnlicher
Größe, der, im Kreise schwebend, im Schnabel eine Hostie trug, die er daun vor der
Herzogin niederlegte und verschwand. Vor Schreck genas die Herzogin hier eines Söhn-
leins. Zum Andenken an diese wunderbare Begebenheit ließ der Herzog an derselben Stelle
eine Kapelle erbauen, welche nach dem Adler (orsl) Orlova (Adlerkapelle) genannt wurde.
Dieser Name ging später auf das unterhalb dem Felsen entstandene Dorf über.
Den Gegenstand vieler Volkssagen bildet die schwarze Fürstin (Katharina Sidonia,
Mutter des Fürsten Adam Wenzel). Kurz vor ihrem Tode soll diese milde und menschen-
freundliche Frau eine merkwürdige Verfügung getroffen haben, der zufolge ihre Leiche
auf einem einfachen Wagen von vier schwarzen Stieren aus dem Teschener Schlosse geführt
wurde. An der Stelle, wo der Leichenwagen stehen blieb, wurde die Fürstin, von der ein
heimatlicher Dichter sagt: „Schwarz war ihr Anzug ganz und gar, schwarz war ihr Auge,
schwarz ihr Haar —" zur Ruhe bestattet. Bald darauf wurde ihrem letztwilligen Wunsche
gemäß über ihrem Grabe ein Kirchlein erbaut und die Ortschaft, welche später in der
Nähe entstand, erhielt den Namen Kostelec, d. h. Kirchdorf. In diesem alterthümlichen
Kirchlein, dessen hölzerner Glockenthurm für schlesische Volksbauten charakteristisch ist,
zeigte sich die gute Fürstin sehr oft am Altar im geistlichen Ornate und auch im
Teschener Schlosse sahen sie die Leute nicht selten um Mitternacht mit einem Schlüssel-
bunde umgehen. Diese Fürstin verweilte zu Lebzeiten mit Vorliebe auf ihrem kleinen
Jagdschlosse zu Marklowitz, aber auch auf dem nach der Volkssage prächtigen Schlosse,
welches den kahlen Scheitel des Berges Godnla bei Cameral-Ellgoth krönte. Aus
dem Innern des letzteren Schlosses führten angeblich sehr lange unterirdische Gänge
bis in das Herz des Berges, worin große Schätze, eitel Gold und Silber und funkelndes
Edelgestein aufgespeichert liegen sollen.
Auf dem soeben erwähnten Berge Godula haust der Schlangenkönig, der nach der
Volkssage niemand was zu leide thut, wenn man ihn in Ruhe läßt, aber wehe dem,
der ihm uahetritt! Der Schlangenkönig trägt auf dem Haupte eine Krone von purem
Golde (ötvwAlovviec, Goldköpfchen) und zu gewissen Zeiten kriecht er von dem Berge
herab zu dem klaren Forellenbache, um in dessen Flut zu baden. Am Ufer legt er seine
Krone ab. Da schlich sich einmal ein Schafhirt, der dies sah, zu der Krone heran, und
nachdem er sie aufgehoben, eilte er mit ihr davon. Der Schlangenkönig badete weiter,
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Band 17
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Mähren und Schlesien
- Band
- 17
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1897
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.42 x 21.88 cm
- Seiten
- 750
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch