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Bauthätigkeit einen so großen Aufschwung, daß in keiner anderen Epoche, noch auch in einer
anderen Gegend des Landes, ein ähnlicher zu finden ist. Die große Zahl in solcher Weise zu
Stande gekommener Bauten hat dem Oberlande jenen augenfälligen gothischen Baucharakter
verliehen, der es von allen anderen Gegenden des Landes unterscheidet. Die Wichtigkeit
dieser Epoche wurzelt jedoch mehr in der großen Zahl von Bauten, als in deren
künstlerischer Bortrefflichkeit, ja es muß auffallend erscheinen, daß die oberländische Gothik
bei so andauernder und ununterbrochener baulicher Übung keine höhere Stufe der
künstlerischen Entwicklung erreicht hat. Die Ursachen dieser Erscheinung liegen in den
früheren Zuständen und den Verhältnissen des neueren Aufschwunges. Die geringere
Anzahl von größeren kirchlichen Institutionen macht ihre Einwirkung auch jetzt fühlbar,
und dazu kommt, daß die Bevölkerung der entstehenden Städte größtentheils aus einer
Gegend Deutschlands stammte, wo die deutsche Gothik nicht ihre glänzendsten Bautriumphe
gefeiert hatte, und daß andererseits diese Bevölkerung, obgleich verhältnißmäßig gut
gestellt, doch nicht reich genng war, um selbst in den volksreichsten Städten die fast
unabsehbaren Kosten eines gothischen Kirchenbaues von größerem Maßstabe bestreikn zu
können. Im Auslande dauerte der Bau der von mächtigen, reichen Bauherren begonnenen
gothischen Kirchen infolge Geldmangels Jahrhunderte lang und sie blieben dennoch
unvollendet. Im Hinblicke darauf wäre man fast geneigt, die Bevölkerung dieser ungarischen
Städte für ihre Mäßigung und Behutsamkeit zu loben, wenn sie nur wenigstens das
Begonnene auch wie aus einem Guß vollendet hätten. Sie waren nüchtern rechnende
Spießbürger, die sich nicht von dem damals grassirenden Baufieber befallen fühlten und
keine Arbeiten unternahmen, deren Durchführung unter ihren Verhältnissen als bare
Unmöglichkeit erschienen wäre. Der zur Pracht und Großartigkeit geschaffenen gothischen
Bauweise boten sich hier keine großen Ausgaben. Es wurden keine irgend großartig
angelegten, dreischisfigeu Kirchen gebaut, deren niedrigere Seitenschiffe Gelegenheit geboten
hätten, den charakteristischesten Zug der gothischen Baukunst, das äußere Strebesystem
zur Geltung zu bringen. Die Hallenkirchen sind vorherrschend. Das Chor schließt
gewöhnlich mit drei Seiten des Achteckes, doch kommt anch der gerade Abschluß oft genug
vor; im Abschließen der Seitenschiffe herrschen Zufall und Laune. Die Erlauer Kathedrale,
die einzige, deren Chor einen Chorumgang und Kapellenkranz besaß, ist nicht erhalten
geblieben. Auch der kühn aufstrebende, schlanke Thurm, ein weiterer charakteristischer Theil
der gothischen Kirche, fehlt im Oberlande, mit Ausnahme der Franciscanerkirche zu
Preßburg. Desgleichen bewegen sich die Details in den Schranken der Mittelmäßigkeit;
am gewöhnlichsten ist das Kreuzgewölbe, Netz- und Sterngewölbe sind schon seltener; die
Gewölberippen haben in der Regel eine birnförmige Gliederung; solche Gliederung
schmückt anch die Laibungen der Portale und Fenster; über das Ganze hin herrscht das
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch