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Laubornament; Thiergestalten sind selten; es fehlt das Gewimmel zierlicher schlanker
Fialen, das schöner gestaltete Kranzgesimse, knrz jener ganze Formenreichthum, der das
Lebenselement des gothischen Stils ist. Es kommen wohl auch kunstreicher gebildete
Details vor: Portale, schön gegliederte Rippen und Grate, Maßwerk der Fenster und
dergleichen, allein diese Dinge passen nicht zum Ganzen des Gebäudes, dem in der Regel
die Gleichmäßigkeit der Durchführung fehlt.
Bei solcher Geringfügigkeit der Aufgaben bot sich keine Gelegenheit, irgend einen
berühmten Meister, etwa aus Süddeutschlaud, zu berufen, der eine eigenartige Richtung
eingebürgert und in seiner Banhütte Schüler zur Fortentwicklung seiner Kunstweise erzogen
hätte. Unter den vielen Bauten findet sich kein bedeutenderes Werk, an das sich der Name
und die Kunst irgend eines Meisters knüpfen würden, aber auch kein einziges, das
vermöge irgend welcher Eigenthümlichkeiten gewissermaßen als Ausgangs- und Mittelpunkt
dienen könnte, um deu sich mehrere Bauwerke gruppireu. Ja selbst die Entstehungszeit der
meisten und unter ihnen der wichtigsten Bauten ist nicht genau bekannt, und so läßt sich
die Geschichte der Knnstgestaltung nicht einmal aus Grund des zeitlichen Nacheinander
ermitteln.
Von den in der vorhergehenden Periode entstandenen Kirchen sind es auch hier die
Kathedralen, die der neuartigen Baumode am wenigsten zu widerstehen vermochten; die
romanischen Kathedralen von Waitzen, Erlan und Neutra verschwanden spurlos uud an
ihre Stelle traten gothische Gebäude, die übrigens gleichfalls untergegangen sind. Soweit
wir von der Erlauer Kathedrale Kenntniß haben, dürfte diese das ansehnlichste Bauwerk
unter den dreien und überhaupt die vollkommenste Leistung der gothischen Baukunst im
Oberlande gewesen sein. Wahrscheinlich begann ihr Bau um die Mitte des XIV. Jahr-
hunderts; ihr Chor war von einem halbkreisförmigen Umgang und einem Kapellenkranz
umgeben, die durch Thomas Bakocs zur Zeit, als er Bischof von Erlan war, Ende des
XV. Jahrhunderts erbaut worden. Auf Grund ihrer erhaltenen Bruchstücke, insbesondere
in Anbetracht der Größe und edel gegliederten Form eines in der Erlauer Festung unter
der jetzigen Oberfläche des Terrains noch bestehenden Pfeilerstückes, stellen wir uns eine
umfangreiche, großartig disponirte und reich durchgeführte Kathedrale vor, auf die das
Wort Belas IV. über die frühere Kathedrale noch besser gepaßt hat, daß sie nämlich
„über sämmtlichen Kirchen Ungarns, gleich der Königin der Nation, anf dem Stuhle ihrer
Erhabenheit thronte, geschmückt mit der Krone ihrer Schönheit". Die Türken bezeugten
später die Großartigkeit des Gebäudes durch folgende Aufschrift: „Als wir in dieses Dorf
kamen, staud hier eine ungeheuer große christliche Kirche, die uns Gott gegeben hat. Die
Christen waren Narren, daß sie mit so großer Arbeit und so großen Kosten in diesem
kleinen Dorfe eine so große Kirche gebant haben."
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch