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der Bau eines neuen Chores begonnen, das 27 75 Meter lang, etwas breiter als das
Mittelschiff und mit drei Seiten des Sechseckes geschlossen wurde; die Vollendung seines
Netzgewölbes fällt, nach dem Zeugniß der Wappenschilder an den Schlußsteinen, ganz an
das Ende des XV. Jahrhunderts. Die Gewölberippen der Schiffe ruhen auf einfachen, am
oberen Theile der glattschästigen Pfeiler vorspringenden Rnndwülsten, während sie sich
auf die Halbsäulen der Längswände ohne Verbindungsglied niedersenken. Im Chor
ruhen die Rippen des Gewölbes auf gegliederten Diensten. Die Rippen, die vierfach
getheilten, hohen und breiten Fenster des Chores, ihr Maßwerk und die reiche Gliederung
ihrer Laibungen, sowie die Form der Streben am Chöre bezeugen den späten Ursprung
dieser Theile der Kirche. Im XV. Jahrhundert entstand die St. Anna-Kapelle an der
Nordseite der Kirche. Die Vorhalle an der Südseite mit ihrem Renaissanceportal, vom
Anfang des XVI. Jahrhunderts, bezeichnet den Schlußact des Kirchenbaues.
Die Kirche des Collegiatcapitels zu Tyruau , jetzt zugleich Pfarrkirche, wurde durch
König Ludwig den Großen begonnen, dann durch König Sigismund fortgesetzt und, Ende
des XIV. oder Anfang des XV. Jahrhunderts, gewiß auch vollendet. Sie weicht dnrch
gewisse Eigenthümlichkeiten von den sonst in Ungarn erhaltenen gothischen Kirchen ab.
Dank der Freigebigkeit der königlichen Bauherren wurde sie in kurzer Zeit, ohne Änderung
des ursprünglichen Planes, aufgebaut, so daß ihr frühgothischer Charakter wie aus einem
Guß erscheint. Abweichend von dem durch deutschen Einfluß allgemein gewordenen
Gebrauche, ist sie keine Hallenkirche. Andererseits jedoch hat ihr Erbauer, der sogar ein
Franzose gewesen sein könnte, vielleicht in Anpassung an die im Lande vorgefundenen
Verhältnisse, die durch königliche Freigebigkeit ihm gebotene Gelegenheit zur Entfaltung
besonderen Reichthums unbenützt gelassen. Die Anlage der Kirche ist demnach einfach und
ihr Aufbau mangelhaft. Die beiden Seitenschiffe, welche niedriger sind als das Mittel-
schiff, schließen mit gerader Wand, statt das Chor und dessen fünfseitigen Abschluß als
Umgang einzuschließen. Als augenfälliger Mangel mnß es erscheinen, daß das hoch über-
ragende Mittelschiff keine äußeren Streben und Strebebogen hat. Die Lichtgaden des Mittel-
schiffes sind anch innen ganz kahl, nicht durch Dienste gegliedert, die zu den Rippen des
Gewölbes emporlaufen, auch nicht mit Triforien oder Blendarcaden geschmückt. Dennoch
ist dieses Bauwerk, dank der harmonischen und correcten Durchführung, der Richtigkeit
seiner Verhältnisse und der Klarheit seiner einfachen Formen eine Schöpfung von
künstlerischem Werth. Sein Äußeres ist von imposanter Wirkung und verdankt dies
vor allem der Westsa^ade, deren zweigeschoßige und das Mittelschiff noch überragende
Giebelmauer von zwei mächtigen Thürmen flankirt wird, ferner den in drei Abstufungen
sich verjüngenden Strebepfeilern des Chores und seines Abschlusses. Das im vorigen
Jahrhundert umgestaltete Hauptportal der Westfroute führt in die zwischen den beiden
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch