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und den Richter, um sich von ihnen allen zn verabschieden. Dem Volksbrauche nach, zu
dem sich noch allerlei Aberglaube gesellt, muß Jeder, von dem der Drahtbinder Abschied
nimmt, ihm ein paar Groschen in den Schnappsack werfen. Dieses Geld zahlt er mit Zinsen
zurück, wenn er aus der Welt heimkehrt. Während der Drahtbinder im Dorfe seine Abschieds-
gänge macht, sind die Weibsleute seines Hauses emsig beschäftigt, seine Wegzehrung zu
bereiten, Kuchen zu backen, gezuckerten Branntwein zu kochen; denn wer auf die Wander-
schaft geht, muß mit vollem Korbe hinausgeleitet werden, damit er mit voller Tasche
heimkehre. Wenn so Alles bereit ist, nimmt sein Weib oder seine Schwester den Korb voll
Kuchen auf den Rücken, er sagt der Familie Lebewohl, macht ein Kreuz, und sie schreiten
langsam zum Dorfe hinaus. Vor der Heiligenstatue oder dem Kreuze am Ende des Dorfes
kuieu beide nieder und verrichten ein kurzes Gebet, dann gehen sie plaudernd weiter bis
an die Gemarkung der Gemeinde. Dort nimmt er Abschied von Weib, Mutter oder
Schwester, die ihn begleitet hat. Der Gatte gibt seiner Frau gute Rathschläge; sie
bestimmen, wem die Frau das Briefschreiben übertragen, wie sie die Wirthschaft führen
und wie viel sie jedem von dem Gelde geben soll, das er heimsenden wird. Eine besonders
wichtige Angelegenheit ist das Briefschreiben. Der Drahtbinder kann selten einen Brief
vom Hause erhalten; Wochen, ja Monate vorher muß er mittheilen, wohin man den
Brief postlagernd senden soll, damit er auf dem bezeichneten Postamte danach fragen
kann. Er opfert sich für seine Familie auf und fordert als Dank zärtliche Liebe, darum
will er es in dem Briefe mindestens zweimal lesen, daß Weib und Kind und die Übrigen
ihm hunderttausend Küsse senden. Das folgende Liedchen, dessen Verfasser vermuthlich
„rastelbindend" die Welt durchwandert, ist charakteristisch für den Drahtbinder aus dem
Oberland:
Drahtbinder, Drahtbinder, wilden Gänsen gleiche,
Immer müßt ihr wandern durch die fremden Reiche,
Unterm Kopf den Ranzen, 'nen Sack auf den Füßen,
Tränmt ihr doch nur immervondemHeim, demfüßen.
Der heißeste Wunsch des Drahtbinders ist, in der Fremde so viel Geld als möglich
zu verdienen. Trägt die Drahtbinderei nicht genug, so übernimmt er jede beliebige Arbeit,
wenn sie nur bezahlt wird. Dabei lebt er sparsam. Er sucht sich bei guten Leuten ein
Nachtquartier und hilft dafür bei der häuslichen Arbeit; nie bringt er die Nacht freiwillig
in der Schenke zu; zur Sommerszeit nächtigt er auch wo immer im Freien, unter einem
Busch oder Baum. Seine Nahrung bettelt er meist zusammen. Kauft ihm eine Hansfran
eine Kleinigkeit ab, oder drahtet er einen zersprungenen Topf ein, so erbittet er sich als
Zugabe zum ausbedungenen Lohn noch einen Bissen übriggebliebener Speise oder ein Stück
Brod. Bei seiner kärglichen Lebensweise verdient er im Jahre oft seine 5lX) bis 12lX> Gulden.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch